Mit Jockl nach Santiago
auch auf Anhieb. Das Tor steht offen, die Tür an der Rezeption auch; also rollen wir lärmgedrosselt vor. Noch während ich vom Jockl springe, tritt aus dem Dunkel des Hauses eine Frau zögerlich vor die Tür. Sie hält eine Klobrille in der Hand, aber das besagt im Moment noch gar nichts. Stockend und völlig verwundert fragt sie, was wir denn wollten. Ob wir hier eine Nacht bleiben könnten, versuche ich, so höflich und ernsthaft wie möglich, zu antworten, denn ihr zunehmend entgeisterter Blick gemahnt zur Vorsicht und einiger Behutsamkeit im Vorbringen unserer Wünsche. Doch die Weichen sind gestellt, als ihre Augen sich beängstigend aus den Höhlen zu wölben beginnen. Ich will unsere mögliche Gastmutter nicht erschrecken und raffe schnell meine Mundwinkel zu einem unverbindlichen Lächeln nach oben. - Waaaas?!? Mit einem Traktor, kreischt sie. Oh Gott, bin ich erschrocken, und schockiert. Fassungslos über unser fürchterliches Ansinnen baut sie sich vor unserem unschuldigen Jockl auf und lamentiert in allen Stimmlagen und Betonungen: »Un tracteur! - Un tracteur! - Un tracteur!« Beklommen sehe ich ihrer Aufgebrachtheit zu, einer Mischung aus Entsetzen, Hilflosigkeit, Staunen und Entrüstung zugleich. »I vasteh nix. Wos hotsn leicht?« wendet sich Wolfgang zigarettendrehend und Unbeteiligung mimend an mich, als stünde er zwanzig Meter weit entfernt. »Megn tuats uns net«, meine lakonische Antwort. »Un tracteur! - Un tracteur!« - »Jo in Gotts Nom, es is nua a Traktor und koa Sauria. A so a Gschroa!« Langsam geht mir die Milch über; sachlich wiederhole ich meine Frage bezüglich unser Übernachtung, was sie nur von neuem in Aufruhr bringt. Doch schnell gewinnt sie ihre Fassung wieder und im Brustton der Überzeugung schmettert sie mehrere Male ihr »Fermé!« wie ein endgültiges Urteil über uns hinweg. Dieses »Geschlossen!« will ich ihr nicht abkaufen. Und obwohl ich nun eigentlich alles andere als hierbleiben möchte, ist es mir nicht zu dumm, den Campingführer auszupacken und die erregte Madame darauf hinzuweisen, daß dieser Campingplatz in unserem schlauen Buch als geöffnet eingetragen ist; gleichzeitig deute ich auf das Gittertor, daran dieselben Öffnungszeiten zu lesen stehen. In der ganzen dusligen Debatte erscheint ein Herr, der Gatte vielleicht, und die Situation entspannt sich ein wenig. Er gibt uns zu verstehen, daß der Platz vorzeitig geschlossen wurde und im Moment die sanitären Anlagen generalgereinigt würden. Zur Unterstützung seiner Worte schwenkt die Dame ihre Klobrille wie ein bedeutungsvolles Beweisstück durch die Luft. »Jo scho guat, mia foarn eh scho! Orewa!« Wolfgang, ungerührt von allem, wirft den Jockl an. Die Frau zuckt merklich, als der Motor losdröhnt, doch mit dem starken Herrn an ihrer Seite ficht sie kein Ungemach mehr an. Siegreich verfolgt sie unseren Rückzug. Endlich außer Sichtweite jodeln und spotten wir wie freche Rotzlöffeln in schrillsten Tönen: »Ünn Traktöööör! - Ünn Traktöööör! - Feamää! - Feamää!«
Statt eines gemütlichen Feierabends zeichnet sich jetzt ein ziemlicher Umweg von zirka 20 Kilometern nach Saint-Jean-de-Losne ab. Auch dort gibt es einen Campingplatz am Ufer der Saône - etwas schmuddelig, aber dafür entschädigt uns ein wunderbarer Abendspaziergang entlang des Flusses hinein in den Ort. Die Sonne berührt bereits den westlichen Horizont. Zwei schwerbeladene Frachtkähne tuckern, tief im Wasser liegend, in gemächlichem Tempo flußaufwärts, dicke Bugwellen auf der ruhigen Wasserfläche vor sich herschiebend. Die Motoren dieseln beruhigend dahin, die Wellen schlagen leise klatschend ans Ufer, und es dauert nur den Bruchteil eines Gedankens, da wandelt sich vor meinen Augen die Saône in die schiffbare Weser, und genau wie schon als Vorschulknirps stehe ich zum Schiffe-Schauen gebannt am Ufer, und wie damals erfüllt es mich auch jetzt mit derselben einfachen Freude und hüpfenden Aufgekratztheit.
Am anderen Morgen hat dichtester Nebel unsere Umgebung verschluckt. Die Sicht zur Saône endet einige Meter davor, und wie aus einer anderen Welt steigt das gedämpfte Tuckern und Tuten eines Kahns zu uns ans Ufer. Im Schrittempo durchpflügen wir die Nebelsuppe bis nach Saint-Jean und grasen dort sofort sämtliche Boulangerien und Patisserien ab. Heute plagen uns wieder gar schreckliche Gelüste nach knusprigem Blätterteig, nußschweren Füllungen und Schokoladenhörnchen; Diät ist demnach nicht angesagt. Mit
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