Mit Jockl nach Santiago
der Musterung einer ganz einzigartigen Dachlandschaft, die dem Hof eine einmalige, fast exotische Atmosphäre verleiht. Selten ein Bauwerk in Europa, bei dem allein das Dach den Typus eines Gebäudes in so großartiger Weise bestimmt bzw. dominiert. Über einer hölzernen Galerie steigt es steil an, die riesige Fläche unterbrochen von einer Reihe von Dachluken mit verzierten Giebeln und eingedeckt von der Pracht glasierter Dachziegel, die in vier Farben (ocker, ziegelrot, blaugrau und schwarz) zu geometrischen Mustern angeordnet sind. Eine pure Wonne, mitten im Hof zu stehen und mit Blicken von Giebel zu Giebel zu hüpfen, die lineare Musterung aus Zacken, Rhomben, Quadraten und deren Verflechtungen nachzuzeichnen, sich von der Galerie auf die Dachtraufe zu schwingen und rund um den Hof zu balancieren. Neben all seinen äußeren Vorzügen kann das Hôtel-Dieu in seiner Funktion als Spital auch auf eine lange Geschichte zurückblicken, denn bevor man den Komplex in ein Museum umgewidmet hat, war er bis zum Ende des 2. Weltkrieges - der Armensaal gar bis 1971 - in Betrieb. Tiptop saniert, steht heute ein Großteil des Gebäudes zur Besichtigung frei; darunter die Kapelle, die große Küche mit einem mechanischen Bratenspieß und Vorrichtungen für die Warmwasserbereitung, die Apotheke und nicht zu vergessen die Krankensäle, die in ihrer peniblen Feinsäuberlichkeit der Bettenfluchten nur mehr wenig an dazumalige Zustände erinnern. Befreit vom Gejammer der Kranken, dem Gesabber der Senilen, dem Stöhnen Schmerzgepeinigter und ohne jene unverkennbare Miefmischung aus Arzneien, Desinfektionsmitteln, Bodenwachs, menschlichen Ausdünstungen und anderen Begleiterscheinungen eines überbelegten Armenspitals wandert ein Besucher unserer Tage angeregt durch die einzelnen Räumlichkeiten und konsumiert »Kunst und Krankendasein« auf verschiedenste Weise. Ausgerechnet hier von einem Leiden kuriert zu werden, war mit Sicherheit nicht angenehmer als in allen anderen Spitälern jener Zeit, doch die ersten Schritte der Genesung im Hof des Hôtel-Dieus zu versuchen, mag einer kleinen Auferstehung gleichgekommen sein, gemessen am Atombunkerstyling heutiger Kliniken.
Nach der kühlen Gedämpftheit des Museums taumeln wir in die Hitze der Stadt hinaus, um die nächsten Punkte unseres Besichtigungsplans aufzusuchen: die Caves de Cordeliers, ein großes Weinhandelshaus in den Mauern eines ehemaligen Franziskanerklosters; die bereits erwähnte Stadtmauer mit ihren Bastionen; die Kirche Notre Dame - sie ist alt, wenigstens das kann man ihr nicht absprechen; das Weinbaumuseum in der ehemaligen Residenz der Herzöge von Burgund und das Musée des Beaux Arts - klein, doch bestückt mit einigen Werken des Malers Felix Ziem, einem lokalen Vertreter des Impressionismus. Zum selben Museum, nur in einem anderen Trakt untergebracht, gehört das Musée Marey, welches man uns nur auf Anfrage hin zeigt, obwohl es im Eintrittspreis inbegriffen und bei weitem der interessanteste Teil ist. Auf dieses in altväterlicher Manier ausgestattete, hausbackene Museum für Chronophotographie zu verzichten, wäre sehr schade, denn es zeigt sehr anschaulich das breite Spektrum der Darstellung von Bewegungsabläufen. Auf diesem, Ende des 19. Jahrhunderts noch jungfräulichen, Gebiet hat sich der Beauner Arzt und Physiologe Etienne Jules Marey einen Namen gemacht und einen wichtigen Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Films geleistet.
Sind die Museen abgeklappert, folgen Beaunes Straßen und blumengeschmückte Plätze mit ihren schönen alten Stadthäusern und Villen, die kleinen Gassen und Innenhöfe u. v. a. m. Summa summarum plagt uns keine Minute Langeweile, dazu knallt uns jede Menge Sonne aufs Haupt und in die Kaffeetassen, die wir zwischendurch regelmäßig leeren, kalorienreich unterlegt mit Torten, Schnitten und Sables.
Am dritten Tag in Beaune »foa ma zum Weibeag-Schaun übas Lond«, einfach eine zwanglose Runde fern aller Kunst und ohne Kilometerstreß. Hinter dem südlichen Stadtrand von Beaune nehmen wir bei Pommard gleich die erste Abzweigung hinein in die grünen Hügel und knattern gemütlich in eine ausschließliche Welt von Trauben und Trauben und Trauben und... Ihrer voll-festen Rundheit haftet ein Schleier wie feinsten Mehlstaubes an, als wären sie leicht angereift, und ihr Blau leuchtet uns so fremd und samten entgegen, als sähen wir es zum ersten Mal. Etwas Beruhigendes liegt in dieser geordneten Landschaft, die kein
Weitere Kostenlose Bücher