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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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der Vogesen. Rechterhand grüßt in der Ferne der Trutzbau der Hochkönigsburg, und bald haben wir den Stadtrand von Ribeauvillé erreicht. Es beginnt zu regnen - im Moment nicht unbedingt ein Nachteil, denn möglicherweise würden wir die Bilderbuchhaftigkeit der Stadt auf den ersten Blick und noch dazu bei Sonnenschein kaum ertragen. Unsere Begeisterung über dieses Fachwerkgedicht schwappt ohnedies schon über. Die Altstadt teilt sich beim so genannten Metzgerturm in eine Ober- und eine Unterstadt, und es dauert geraume Zeit beide Stadtbereiche angemessen zu durchwandern. Schmale Gässchen locken immer wieder zu einem Abstecher in versteckte Winkel mit oft gewagtesten und skurrilsten Fachwerkkonstruktionen; schmucke Fassaden säumen den Hauptplatz in der Oberstadt, und ich werde nicht müde, die unterschiedlichsten Farbkombinationen der Häuser miteinander zu vergleichen. Hier scheuen die Bewohner keine sich »beißenden« Farben und setzen ungeniert himmelblau neben lachsrot, lindgrün neben violett, hellbraun neben weinrot, ocker neben rosa oder scharlachrot neben flieder. Eine Farbillustration in einem Grimmschen Märchenbuch könnte dieser Buntheit nicht ähnlicher sein. Und scheint manch einer sich wirklich total im Farbtopf vergriffen zu haben, so versteht man auch daraus Gewinn zu schlagen, indem das mißtünchte Gebäude Abertausende von Ansichtskarten ziert. Doch weder alle Übertriebenheit noch touristische Schwülstigkeit können Ribeauvillés gewinnendes Flair negativ beeinträchtigen. Wolfgang bedauert schließlich doch das schlechte Wetter; sein fotografisches Auge wandert unruhig hin und her und erhofft hinter jeder abziehenden Wolke doch noch blauen Himmel.
    Gestärkt mit Birnenkuchen und Kaffee zippen wir die Reißverschlüsse unserer Jacken hoch und machen uns auf die Weiterfahrt. Nur fünf Kilometer entfernt erliegen wir erneut herrlichsten Fachwerkreizen - Riquewihr (Reichenweiher) nennt sich das Örtchen, unter anderem als »schönstes Dorf im Elsass« bekannt. Wir glauben es gerne und mischen uns unter die Heerscharen von Touristen. Sie alle können nicht irren. Dieser Ort zieht seine Register in vollem Umfang und macht einen kopflos: stolze Bürgerhäuser mit prächtigen Fassaden, mittelalterliche Türme, rumpeliges Steinpflaster, Spitzwegidyllen, mächtige Toreinfahrten zu Winzerhöfen, alte Weinpressen, holzgeschnitzte Balken und gotische Fenster, hier ein Erker und dort ein Arkadenhof - kurzum, tausend Dinge, die es zu entdecken gäbe und die wir zum Großteil unbeachtet lassen müssen, wollen wir hier nicht unseren Urlaub verbringen. Und wie überall in diesen »schönsten Orten« von irgendwo, wäre weniger mit Sicherheit mehr. Weniger Souvenirmüll, weniger rumtata-gemütliche Lokale und weniger »Kugelhopf«, schmeckt er auch noch so gut, würden die touristisch überfettete Aura des Dorfes zugunsten einer verlorengegangenen Natürlichkeit angenehm entschlacken.
    Inzwischen treibt uns die nächste Regenfront ins nahe Renaissanceschloß, wo wir uns das sehr interessante und liebevoll eingerichtete Postmuseum anschauen.
    Danach unternehmen wir mit Jockl eine kleine Tour durch die Weinberge südlich von Reichenweiher. Herrlich, all dem Trubel wieder entkommen zu sein und ungehindert zwischen den Hügeln herumzutuckern, als wären es die eigenen Weinberge. Bei Kientzheim melden wir uns in die Dörflichkeit zurück und im benachbarten Kaysersberg, dem Geburtsort Albert Schweizers, beehren wir den örtlichen Campingplatz am Ortsende mit unserer Anwesenheit.
    Nach dem Zeltaufbau spurten wir entlang eines gurgeligen Baches und unterhalb von Ruinenresten einer staufischen Burg in das kleine, jedoch ziemlich lang gezogene Städtchen hinein. Nochmals überschwemmt uns wahre Begeisterung für Fachwerk- und Patrizierhäuser, die in herrlichstem, lückenlosen Nebeneinander Kaysersbergs Hauptstraße zu einer prächtigen Flaniermeile ausstaffieren. In einem kleinen Bistro in einer Seitenstraße schlürfen wir unseren Abendkaffee und geraten nebenbei mitten in die Vorbereitungen zum Abendessen der Wirtsfamilie. Will ich mich erinnern, wie man einfaches Essen genießen kann, so denke ich mich kurzerhand in dieses Bistro zurück. Der Wirt, mit kugelrundem Bauch, als hätte er zum Horsd’oeuvre einen Medizinball geschluckt, lehnt gemütlich im Sessel, reißt sich Stück für Stück Baguette ab, schiebt es in den Mund, ein Stück Käse dazu und spült mit tiefdunkelrotem Wein nach. Seine Lippen glänzen

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