Mit Jockl nach Santiago
Zu nahe an dem einen davon - Fort Saint-Andre um einfach daran vorbeizufahren, genehmigen wir uns diesen kleinen Umweg auf einer schmalen, steilen und obendrein schlechten Straße. Oben angekommen, wirft uns die nüchterne Anlage, auch als strategischer Zweckbau betrachtet, nicht gerade aus den Socken. Und während Wolfgang noch zwischen Mauern und Gebüsch herumsteigt, um sein Faible für Verteidigungsanlagen auszuleben, fresse ich mich buchstäblich entlang dichtgestrüppiger Brombeerwälle ins Tal. Beim ersten Gehöft vor der Abzweigung nach Salins holt mich Wolfgang wieder ein, und wir bestreiten die letzten Kilometer in die Stadt.
Salins besteht, eingekeilt zwischen Berghängen, im wesentlichen aus einer von hohen Stadthäusern gesäumten Hauptstraße. Überraschenderweise besitzt diese Straßenschlucht ein fast nobles Erscheinungsbild, das sich nicht nur auf einem aufwendigen Salinenbau und einem respektablen, herrschaftlich beflaggten Rathaus begründet. Da es morgen voraussichtlich ein Wiedersehen mit Salins geben wird, halten wir uns nicht unnötig lange auf, sondern legen Tempo zu, um uns in Port Lesney unserem Flußufer-Relaxing hingeben zu können. Leider zu spät; bis wir im Camp eintrudeln, steht die Sonne zu tief, um es sich noch großartig gemütlich zu machen.
Die schönste Stunde zu Tagesbeginn, wenn im Zwielicht der Dämmerung die Welt farblos sichtbar wird und noch nichts anderes verspricht, als existent zu sein. Beim allmorgendlichen Routinegang via Jockl zum Örtchen verschluckt das gedämpfte Rauschen der Loue meine Schritte durch das taunasse Laub. Mit meinen nackten Zehen zwar nicht unbedingt ein Vergnügen, eher eine Kneippsche Anwendung, umso behaglicher, wenn ich dann nochmals aus Kälte und Nässe in die spärliche Kaffeekochwärme unserer Behausung hineinschlüpfen kann.
Stunden später sitzen wir in herrlichstem Sonnenschein bei Croissants und Kaffee vor einem Bistro in Salins und schwitzen am letzten Tag im September wie an einem Hochsommerbadetag am Strand. Erst als sich einige Gäste bereits für einen Mittagsimbiß an den übrigen Tischen niederlassen, beenden wir unser philosophisch angehauchtes Gespräch und widmen uns wieder unserem Jockl-Alltag zu.
Einen Teil davon verbringen wir auf der 45 Kilometer langen Strecke nach Pontarlier. Die beiden Forts von Salins grüßen von ihren Höhen, bevor wir erneut in Wald- und Wiesennatur eintauchen. Am blitzblauen Himmel kreuzen sich zahlreiche Kondensstreifen und wachsen mit der Zeit zu einem abstrakten Kunstwerk an. Kastanien glänzen in Hülle und Fülle auf der Fahrbahn, darüber schimmert ein Schleierwald hauchfeiner Spinnweben, deren Fädengespinst wir auf vielen Kilometern mit unseren Gesichtern einfangen.
Ab der Ortschaft Chaffois hat unsere stundenlange Fliegenpilz- und Kuhweideneinsamkeit ein Ende, und ehe wir uns versehen, stecken wir mitten in einem drängeligen Verkehrsgeschehen. Dort, wo ein Überholen zu riskant wird, schleppen wir bald einen Troß Lkws und Pkws hinter uns her, der mich ganz nervös macht, wie immer, wenn wir den Staupfropfen anführen. »Wos schaustn oiwei zruck?!« kommentiert Wolfgang meinen Hinweis auf unsere ungeduldigen Verfolger. »Schau net zruck, donn brauchst di net aufregn!« - Leicht gesagt. Natürlich drehe ich mich immer wieder um und lasse mich von den gereizten Mienen unserer Nachhut verunsichern. Ich spüre förmlich die Doppelstiche aller auf uns gerichteten Augenpaare, wie könnte ich da ruhig auf meinen vier Buchstaben sitzen und so tun, als wisse ich von nichts. Wolfgang nervt meine Verhaltensweise bald mehr als der ganze Blechkonvoi hinter uns, und endlich schert er in einer Zufahrt aus und ermöglicht den Ausgebremsten freie Fahrt.
Pontarliers Stadtsilhouette vor den grünen Larmont-Bergen übt nichts Anziehendes aus; im Gegenteil, der Einzugsbereich der Stadt, der bis zur Ortschaft Houtaut zurückreicht, inklusive Flughafengelände und Allerweltsgewerbegebiet, schraubt unsere Erwartungen zusätzlich ein paar Stufen tiefer. Ihre niedrigen Häuser, deren Dächer weder Türme noch einzelne Gebäude überragen, hält einem Vergleich mit einer gesichtslosen Garnisonsstadt durchaus stand. Ein schnelles Vorurteil, dessen uns Pontarlier wenige Minuten später eines Besseren belehrt. In ihrem Zentrum herrscht ein lebhaftes Treiben in der Hauptstraße, die im Westen ein Triumphbogen vom Vorortgeschehen trennt und dadurch der Stadt den Durchzugscharakter nimmt.
Hübsche Häuser mit
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