Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
Vom Netzwerk:
Bewegung setzte. Selbst die Distanz einer ganzen Feldlänge zwischen mir und dem erdaufwühlenden Unding bot mir keine Sicherheit; erst wenn der Bauer den Motor abstellte und dieser in letzten Takten verstummte, fand ich meinen Mut wieder, mich dem Ungeheuer zumindest bis auf zehn Meter Entfernung zu nähern. Den Bauer allerdings behielt ich argwöhnisch im Auge, denn soviel stand fest: Er war der Auslöser meiner Pein. Solange er sich vom Traktor fernhielt, fand ich wonniges Vergnügen in der kühlen Erde herumzuwaten und jedem die schönen Kartoffeln zu zeigen, die ich »gefunden« hatte. Wehe er traf Anstalten sich Richtung Traktor zu wenden, da schrillten alle meine Alarmglocken und waren alle schönen Kartoffeln augenblicklich vergessen, denn ich mußte flüchten - rennen, so schnell es meine kleinen Füße zuließen. Ich hörte zwar die Stimme meiner Mutter, die mir unentwegt zurief, der Traktor würde mir nichts tun, doch der näherkommende Motor dröhnte übermächtig in meinem Kopf - meine Welt ging unter! - und stand fünf Minuten später mit köstlicher, nach frischer Erde duftender Luft wieder auf. Lange Zeit konnte mich niemand von der Harmlosigkeit eines Traktors überzeugen, mir meine Angst nehmen oder sie beschwichtigen. Nur wenige Jahre später saß ich jedes Mal mit aufgeregter Freude auf dem Kotflügel ein und desselben Schreckenvehikels, wenn der mittlerweile als gutmütig erkannte »Peiniger« von damals mit einer Fuhre Kartoffeln und mir zum Hof zurückfuhr. - Das kleine Mädchen hingegen kreischt noch immer wie am Spieß. Am liebsten würde ich es weit weg tragen, so sehr spüre ich seine furchtbare Angst. Aber immerhin setzt es seinen Willen durch: Kein Foto für Papa!
    Wir verriegeln unsere Kiste und beginnen einen langen Fahrtag. Wie erwartet, hat die graue Wolkenschicht aus dem Westen nun auch unsere Region erreicht und die Sonne entschwindet zwischendurch für immer längere Abschnitte. Kalter Wind bleibt und treibt uns Kaffeedürstenden ins Tal des Ozerain. Von Hecken eingefaßte Wiesen und Felder kleiden das Tal wie grüne Matten aus, und Wälder grenzen es wie ein Schutzwall nach obenhin ab. Neun Kilometer haben unsere Ohren Zeit, zu Eislöffeln abzukühlen, dann taucht rechts vor uns Flavigny-sur-Ozerain auf, eine zusammengekauerte Ansammlung mittelalterlicher Häuser auf einem Felsplateau hoch über dem Tal. Flavigny - allein der Name zergeht bereits auf der Zunge, so wie jene süßen Anis-Pillen, für deren Herstellung Flavigny einige Berühmtheit erlangt hat. Und genau wie die Zunge zum süßummantelten Aniskörnchen vordringt, so tasten wir uns an Flavigny heran. Innerhalb einer schützenden Festungsmauer, hinter massiven Stadttoren, entdecken wir vergangene Jahrhunderte. Steingepflasterte Gassen, großartige Bürgerhäuser mit zum Teil hervorragenden gotischen Fassaden, ungezählte Details wie Wasserspeier, Erker, dekorative Fenster- und Türumrahmungen, Treppenaufgänge, verwilderte Rosengärten und Stilleben hinter kleinen Fenstern mit Krügen und Töpfen und schlummernden Katzen - mit einem Wort: Fantastisch! Und so wie der Geschmack von Anis ja nicht unbedingt jedermanns Sache sein muß, so wird auch Flavigny nicht jeden Besucher für sich gewinnen, denn die kleine Stadt präsentiert sich überwiegend unrestauriert, das heißt, eine gewisse Abgelebtheit, in manchen Ecken auch reichlich übermoost, sorgt in unseren Augen erst für ihren unwiderstehlichen Reiz. Um die Kirche gruppiert sich ein spärlicher Bio-Markt mit Verkaufsständen und Verkäufern mit kältegeröteten Gesichtern. Im gegenüberliegenden, einzig geöffneten Lebensmittel laden des Ortes finden wir, was wir suchen: eine kleine Café-Ecke mit zwei Tischen. Unter einen davon strecken wir unsere bestiefelten Beine aus, trinken Milchkaffee, knuspern an Marmelade-Croissants und lutschen - Anis-Pillen. Nur wenig erwärmt, setzen wir unseren Erkundungsgang fort. Dabei zapple ich von einer windgeschützten Mauer zur nächsten, während Wolfgang scheinbar immun gegen Kälte und Wind seine Kamera schwenkt, um all die baulichen Kostbarkeiten und Großmuttergärten auf Film zu bannen, darunter auch eine sonntägliche Prozession durch den Ort mit im Wind flatternden Ministrantenroben und Brokatbaldachin, singenden und blumenstreuenden Mädchen und ernsten Gesichtern von Nonnen und Gläubigen. Flavigny und seine Pillen haben uns gemundet - zweifellos!
    Auch das Wetter erweist sich wieder etwas mehr nach unserem Geschmack, und

Weitere Kostenlose Bücher