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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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Regenhosen, obwohl das Wetter im Moment ja wieder einen eher trockenen Eindruck macht.
     
    Die Nacht bringt erneut Regen, von dem am Morgen jedoch nur noch einige Schleierwolken über Autun hängen. Unsere Abfahrt gerät heute beinah zu einem öffentlichen Auftritt, denn am Tor stehen unsere Mitcamper regelrecht Spalier, jeder mit einer Foto- oder Videokamera bewaffnet und warten auf unser erlauchtes Erscheinen. Also rasch die Mundwinkel zu den Ohren gezogen und die Hände zu einem Wink erhoben, so nehmen wir wie die britischen Royais die Parade ab und kutschieren unter allgemeinem Gelächter mit unserer Eicher-blauen Landkarosse zum Camp hinaus. Für unsere Weiterfahrt müssten wir ohnedies nochmals nach Autun hinein, und so nehmen wir die Gelegenheit wahr, uns am großen Platz unters Volk zu mischen. Wieder ist Wochenmarkt, und wo gestern noch Autos und Busse parkten, wuselt heute halb Autun herum. Händler, Bauern und fahrendes Volk, alle betreiben sie ihre Geschäfte zwischen Brätereien, Ständen, Verkaufswägen und Hühnerkäfigen. Eimerweise Oliven in allen Schattierungen, getrocknete Früchte und Nüsse, Küchenkräuter in transportablen Minigärten, Lederwaren, Plastik in allen erdenklichen Ausführungen, von Haarspangen bis zum Gartenschlauch, Reizwäsche und Gartenstühle, Musikkassetten und Badesandalen und und und... und wieder sind wir Gefangene unseres Markt-Voyeurismus - Schauen und stilles Beobachten zwischen Kleiderständern hindurch, vorbei an fetttriefenden Grillhühnern und hinweg über Kistenreihen von Balkonblumen.
    Noch ganz von dem Gesehenen in Anspruch genommen, leeren wir unseren Vormittagskaffee und nehmen dann flott Kurs auf Le Creusot. Leider müssen wir dazu auf die N80 und uns knappe 30 km Nationalstraße zumuten. Doch der befürchtete Verkehr hält sich in Grenzen. Im Gegenteil, heute werden wir sogar ziemlich oft freundlich angehupt, wird uns zugewunken oder aus eilig runtergekurbelten Fenstern zugerufen. Und wenn Wolfgang sich nicht gerade eines seiner unverzichtbaren Gauloises-Stängelchen zurechtwuzelt und ich inzwischen richtungshaltend ins Lenkrad greife, dann fuchteln wir wie ein paar Irre zurück, damit auch alle sehen, daß dieses verrückte Fahrzeug auch von Verrückten gesteuert wird.
    Fingerhüte am Waldrand und einige Kilometer hügelige Hecken- und Wiesenlandschaft vor Marmagne verraten noch nichts vom Industriemoloch Le Creusot, dessen Stadtrand wir sieben Kilometer weiter passieren. Würde Le Creusot nicht auch unter dem Namen »Schneiderville« Furore machen und seine bewegte Entstehungsgeschichte nicht mit eben diesem Namen zusammenhängen, würde ich lieber daran vorbeifahren. Wie ich diese Stadt(durch)fahrten hasse. Angesichts einer solchen Unvermeidlichkeit, aus welchen Gründen auch immer, verspannen sich bei mir schlagartig Körper und Geist, und in banger Vorahnung sehe ich mich bereits zwischen unentwirrbaren Schilderwäldem herumirren, in Sackgassen festsitzend oder in endlosen Einbahnsystemen verheddert und wie die Ratte im Laufrad ewig im Kreis kurvend. Am Ende kostet mich so ein innerstädtischer Rundkurs die Energie mehrerer morgendlicher Weck-Rituale.
    Wie dem auch sei: Le Creusot muß sein, da hilft kein Gezeter. Mit unserer besonderen Vorliebe für Industriegeschichte bzw. Industriemuseen werden wir um die Stadt nicht herumkommen. Seit 1836 bedeutendes Zentrum der Eisenverhüttung, verdankt die Stadt ihren industriellen Ruhm den Gebrüdern Adolphe und Eugène Schneider. Die beiden patriarchalisch gesinnten Herren bewiesen ein goldenes Händchen in der Verwirklichung ihrer Pläne, pushten Le Creusot vom kleinen Weiler zur absoluten Industriestadt und behielten dabei auch in allen anderen Belangen der Stadt die Fäden in der Hand. Die Entstehung von Arbeitersiedlungen, Kirchen, Schulen, Krankenhäusern und anderen sozialen Einrichtungen gedieh auf ihr Betreiben rasch und effektiv - ein paar selbstgesetzte Denkmäler durften da nicht fehlen, sollte die Arbeiterschaft doch stets seine Gönner und Wohltäter vor Augen haben. Die Schneider-Fabriken produzierten für Krieg und Frieden: Kanonen, Dampfschiffe, Lokomotiven, Gerüste für Brücken und Bahnhofshallen, u. a. auch das Eiffelturmgerüst. Indes avancierte die Familie Schneider dank Einfluß, Macht und Vererbung zur Dynastie und sonnte sich in diesem Glanz noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Das Château de la Verrerie stellte ihnen dazu den passenden äußeren Rahmen. Das

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