Mit Jockl nach Santiago
einverleiben.
Saint-Rémy-sur-Durolle kommt bald in Sicht, und wieder sind wir überrascht von einem nicht zu übersehenden italienischen Flair von Stadt und Umgebung. Nach Saint-Rémy verlassen wir die verkehrsarmen Nebenstraßen und begeben uns von der Einschicht ins volle Leben nach Thiers, dem Solingen Frankreichs und Zentrum einer bedeutenden Stahlwarenindustrie. Einer Beschreibung nach liegt die Stadt grandios auf einer Felsnase, hoch über der Schlucht der Durolle. Aber als ganz so grandios empfinden wir ihre Lage dann nun doch nicht, und auch die Stadt selbst übt auf uns wenig Anziehung aus - im Gegenteil wirkt sie in ihrer lauten Wuseligkeit eher abstoßend. Straßenarbeiten im Zentrum tun ein übriges und veranlassen nur zur Flucht von einer Gasse in die nächste. Einige sehenswerte Fachwerkbauten zieren freilich schon die Altstadt, aber über allem liegt ein Hauch von Abgetragenheit in negativem Sinn. Auslagen mit Tausenden blinkenden, silberblitzenden Messern aller Verwendungszwecke und ein halbes Kilo köstlicher Kirschkuchen aus einer Patisserie werten die Stadt in unseren Augen auch nicht mehr auf. Außerdem geht bald nach unserer Ankunft ein Gewitter nieder; lange genug brodelte diese Bedrohung am Horizont heran, bis sie sich entschied, über uns die Schleusen zu offnen. Wir warten das ärgste Geplätscher ab und beschließen dann die Weiterfahrt.
Parkt auf dem besten Fleckchen der Stadt, denn von hier eröffnet sich uns endlich der lang ersehnte Blick zu der Kette der Puys. Dieses Bild anvisiert, begeben wir uns hinunter an die Stadtperipherie mit ihren unvermeidlichen Autohäusern, Garagen, Tankstellen und erfolgwärtsstrebenden Firmen in einem modernen und deshalb umso trostloseren Gewerbegebiet-Einerlei. Nichts wie raus!
Spätestens nach der Ortschaft Pont-de-Dore umfängt uns wieder ländliche Ruhe. Die Berge liegen hinter uns und die Straße verläuft einigermaßen gerade durch leicht wellige Feld- und Wiesenlandschaft. Im Osten türmen sich die Nachwehen des abziehenden Gewitters zu monströsen Wolkengebilden, das beste Terrain für Abendsonnen, um sich in impressionistischen Farbspielen zu versuchen. Trotzdem werden uns die letzten Tageskilometer noch recht lang bis endlich Billom in der Ferne auftaucht. Und was Thiers an Enttäuschung bot, macht Billoms unvergleichliches Ambiente mit einem Schlag wieder wett. Fast zwei Stunden gelingt es der Stadt, uns selbst nach anstrengendem Tagespensum noch durch ihre Gassen zu locken. Billom ist eine Entdeckung - wieder eine - und wir aus dem Häuschen vor lauter Begeisterung. In vielen Vierteln Mittelalter pur, besonders im Quartier medieval. Dichtgedrängte Bauten aus granitener Vergangenheit, holpriges Stolpersteinpflaster in tageslichtscheuen Gassen, Häuser, die sich unter der Last der Jahrhunderte neigen und krümmen wie das greise Alter, Ausbuchtungen und Risse in Gemäuern, als würden sie unter Blähungen leiden, schiefe Türstürze und Deckenbalken und in sich verschobene Fachwerkgerüste - das heißt, diese Gassen leben, und diese lebendige Bewegtheit setzt sich in einem gewundenen, winkeligen Straßenverlauf fort. Die übrige Stadt konzentriert sich nicht wie üblich um ein einziges Zentrum, sondern erhält durch mehrere Hauptplätze, meist mit Brunnen, eine großzügige Gliederung. Und so wandern wir durch Torbögen und über steile Treppen von Viertel zu Viertel, registrieren vor den Fenstern liebevoll arrangierten Blumenschmuck, Töpfe mit undefinierbarem Grünzeug auf bemoosten Hinterhofmauern und sonnengebleichte Firmenaufschriften über niedrigen Kleinkrämerauslagen. Staubige Verlotterung und fachmännische Instandhaltung der alten Bausubstanz halten sich die Waage und verleihen der Stadt eine ungemeine Anziehungskraft. Das scheinen auch die Katzen zu spüren, die in ansehnlicher Zahl über Gartenmauern huschen, in Türspalten verschwinden, auf Fensterbänken lauern oder in Achterschleifen schnurrend um unsere Beine schmeicheln.
Anderntags steht Clermont-Ferrand nichts mehr im Wege. Wie ein Magnet zieht uns die Kette der Puys an, im besonderen der markante Puy de Dôme, mit seinen 1465 Metern der King unter den rund 110 Vulkanen der Auvergne. Seine steilaufstrebenden Flanken enden ganz oben, jedoch nicht in einem typischen Kraterrand wie bei vielen seiner Untergebenen ringsum, sondern schließen sich zu einer schräg abgeflachten Spitze, und im weitesten Sinne ähnelt er einem überdimensionalen, grünen Napfkuchen mit einer
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