Mit Jockl nach Santiago
riesigen Senderanlage auf dem Gipfelplateau. Auch ohne Straßenkarte und Pfadfinderkenntnissen würden wir spielend nach Clermont-Ferrand finden, erstreckt sich die Stadt doch fast zu Füßen des Puy de Dôme am Rande des Limagnebeckens, nur getrennt von einem bis zu 500 m hohen Beckenabbruch. Dahinter liegen auf einem rund 30 Kilometer langen Bogen die Puys aneinandergereiht wie auf einer Perlenschnur und innerhalb dieses Bogens, ungefähr in der Mitte, pulsiert in weiter Ausgedehntheit Clermont-Ferrand, Herz der Auvergne und Sitz des Michelin-Konzerns, dem größten Arbeitgeber der Stadt und nicht zuletzt unser Kartenlieferant.
Bis Cournon-d’Auvergne bereitet die Fahrt noch einigen Genuss, doch mit der Überquerung des Allier geraten wir allmählich in den Sog der ersten greulichen Vororte mit ihrem chaotischen Straßensalat und eines ziemlich dichten Verkehrs. Selbst Clermonts schwarze Kathedrale, neben dem Puy de Dôme der Orientierungspunkt schlechthin, verlieren wir im Dschungel riesiger Plakatwände, dorfgroßer Einkaufszentren, Autobahnzubringern, Gleisanlagen, Kreisverkehr und Staus vor Ampelkreuzungen aus den Augen. Allein die Atmosphäre dieser Gegend schafft mich schon, sorgt für die psychische Zermürbung; der schreckliche Flickenasphalt übernimmt die körperliche Zerrütt(el)ung. In solchen Situationen fühle ich mich auf dem Traktor, bedingt durch einen fehlenden Überbau, dem Verkehrsgeschehen unangenehm nahe und diesem somit auch mehr ausgeliefert. Durch geringes Tempo und mangelnde Beschleunigung wird man leicht zum Verkehrshindernis, und alles zusammen fiedelt auf meinen gespannten Nerven allerschrägste Töne. Wolfgang sieht solchen Anforderungen eher gelassen entgegen. Mit Bravour wechselt er in fließendem Verkehr wie mit einem Autoscooter vom Rummelplatz die Fahrspur; mit einem »Jezt hoit di vei fest!« nimmt er Bordsteinkanten rauf und runter wie Hugo Simon Parcourhindernisse; zwischen Straßencafés gelingen ihm, praktisch fast aus dem Stand rasant gekurbelte Kehrtwendungen, und zwischen Müllcontainern und Litfaßsäulen ringt er in geduldiger Millimeterarbeit noch Platz zum Parken ab. So auch vor der Kathedrale von Clermont, wo wir nach erfolgloser Parkplatzsuche den Jockl einfach zwischen zwei steinerne Begrenzungspfosten stationieren. Dank des enormen Lenkeinschlages (kleiner Wendekreis) gelingt das Manöver auch perfekt.
Im Gegenteil zu den tristen Außenbezirken von Clermont entpuppt sich die Innenstadt als heitere, legere City mit viel Betrieb. Junges Volk aller Nationalitäten prägt das quirlige Straßenbild; Musikanten, stimmgewaltige Prospektverteiler und Rollerblader geben dem Treiben Würze. Außer der Kathedrale und der romanischen Basilika Notre-Dame-du-Port beeindruckt Clermont aber durch ihr geschmackvolles, beinah großstädtisches Zentrum und gewinnt durch ihre ansteckende Sprudeligkeit mühelos unser beider Sympathien. Natürlich - auch Eleganz trifft man da wie dort: die Madame in seidenem Chanel vor dem Gourmetlokal, eine noble Jugendstilfassade in der Fußgängerzone, Edel-Boutiquen im »Jaude«-Shopping-Tempel oder gestylte Karrierekletterer in dunklen Limousinen. All der plötzliche Überfluß impft uns mit beträchtlicher Neugier, und wir werden nicht müde, weite Teile der Stadt abzuklappern, in Antiquariaten zu stöbern, in Secondhand-Läden zu wühlen Und die Auslagendekorationen auf Blickfänge abzuchecken. Zu guter Letzt stehen wir abgekämpft wieder bei unserem Jockl vor der Kathedrale. Ach, du meine Güte - die Kathedrale, das Aushängeschild der Stadt, sie hätten wir in unserem Konsum-Delirium fast vergessen. Ihre lavaschwarzen Mauern schlucken jeden noch so hellen Sonnenstrahl, und an ihrer Düsternis prallt der blaueste Himmel ab. Doch man wird überrascht sein, sollte man im Inneren der Kathedrale eine ebensolche bedrückende Schwere erwarten. Hat sich das Auge erst an eine mystische Schummrigkeit gewöhnt, staunt man nicht schlecht: Ein angenehmes Raummaß zaubert eine unvermutete Leichtigkeit, begründet auf einer ungewöhnlichen Breite der Kirche und einer weniger massiven Bauweise ihrer Pfeiler - widerstandsfähige Basaltlava aus den berühmten Volvic-Steinbrüchen machte dieses Wagnis möglich. Nur äußerlich bleibt sie für jeden von uns die kleinere, etwas mißlungene Version des Kölner Doms: gotisch und schwarz!
Am Spätnachmittag wird’s dann Zeit für unsere Campingsuche. Dazu durchqueren wir die Stadt und das sich nahtlos
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