Mit Jockl nach Santiago
stechendblauer Himmel hervorflammt. Lawinen hellsten Lichts rollen dann zu Tal, verfolgt von dunklen Wolkenschatten, die uns eine wogend-bewegte Landschaft vortäuschen. Zwischen dem ganzen Berggezacke spitzt auch der 2884 m hohe Pic du Midi d’Ossau hervor; anhand einiger Bilder im Kopf glaube ich, ihn zu erkennen. Die Bewölkung nimmt wieder zu, und spätestens auf der Paßhöhe stecken wir in einem grauenhaften Wolkenmoloch. Frostiger Wind rasiert uns die gefühllosen Wangen und spornt uns augenblicklich zur Weiterfahrt an. Wir versäumen nichts hier oben; Wintersportgebiet in Reinkultur mit unansehnlichen Hotelanlagen und Liftstationen. Menschenleer, trostlos, vegetationslos - ein vortreffliches Gelände für eine Neuverfilmung des Katastrophenmovies »The day after«. Einige schwerbeladene Lkws quälen sich uns entgegen, während wir die breite Straße nach Canfranc-Estación hinunterfrieren.
Endlich spanische Straßen - welche Wonne, welch unvergleichlich samtiges Fahr- und Sitzgefühl. Dafür hat die Landschaft schlagartig an Reiz verloren. Gebirge Ödnis, sonst nichts. Canfranc wird zum ersten Stopp auf spanischem Boden, wo ein monumentales Bahnhofsgebäude im Stile eines Kaiser-Franz-Joseph-Pomps von besseren Tagen erzählt. Heute begegnen wir hier nur mehr einer fortschreitend blätternden Vergangenheit, Papierfetzen am Bahnsteig und widerborstigem Gestaute zwischen den Gleisen. Feiner Niesel senkt sich wie melancholischer Schleier über die Anlage und über uns. Wo zum Kuckuck bleibt die Sonne! Beim Blick zurück zum Somport könnte einem angst und bange werden; wie die Vorhut zu einem Höllenspektakel quellen übelst aussehende Wolkengebirge über die Hänge dunkelgrau und massig wie vor einer drohenden Sintflut. »A so a scheiß Weda!« fluche ich meine Wut gegen das durchaus fotogene Bild einer dramatischen Wolkenbarriere. Mit Gegrummel setzen wir die Fahrt fort, in Erinnerung, daß Hunderttausende armselig ausgerüstete Jakobspilger vor uns oft genug weit schlechterer Witterung ausgesetzt waren. Im Tal des Río Aragón führt unsere Route geradewegs nach Jaca. Allmählich werden die Temperaturen angenehm, so daß wir uns unterwegs unserer unbequemen Regenmontur entledigen können. Zaghafte Sonne heitert in immer längeren Abschnitten unsere eingedunkelten Gemüter auf, und grüne Felder während der letzten Kilometer vor Jaca lösen die spartanische Tristesse des oberen Aragon-Tales ab.
Jaca kommt in Sicht, erste Station auf der jakobäischen Somport-Route; eine andere, weitaus mehr begangenere führt von Oloron nach Saint-Jean-Pied-de-Port und von dort über die Grenze nach Roncesvalles und weiter nach Pamplona. Auch für uns wird Jaca die erste Station auf dem spanischen Jakobsweg, kurz »el Camino« (der Weg) genannt. Kaum in der Stadt, überfällt sie uns regelrecht mit unerwartet südländischer Lebensart. In den Straßen und Geschäften wuselt jung und alt; vor Cafés und auf Parkbänken finden sich die Senioren nach der Siesta zum zweiten Tagesbeginn ein; Jugendliche ziehen in Horden durch die Gassen; junge Frauen, selbstbewußt wie dies nur Spanierinnen zum Ausdruck bringen können, stöckeln kopferhoben ihren Slalom durch die Menge, und einige hemdsärmelige Señores sonnen sich in ihrer gnadenlos zur Schau gestellten göttlichen Männlichkeit.
Zwei Kilometer außerhalb der Stadt beziehen wir einen leicht angeschmuddelten Campingplatz. Mit unserem fürchterlich muffelnden Zelt, das seit zwei Tagen im eigenen Dampf dahinschimmelt, passen wir hervorragend in dieses Ambiente.
VI. Mit einem Pilger-Traktor am »Camino«!
Rund 72 Fahrstunden: Aragón - Navarra - La Rioja - Castila y Leon - Galicia
Zurück nach Jaca, wo wir unsere Finanzen und Einkäufe auf Vordermann bringen. Unter grauer Bewölkung und frischen Temperaturen marschieren wir kreuz und quer durch die Stadt, Reste von Pudding-Rouladen an den klebrigen Händen, Zuckerfladenbrösel um den Mund... und die Kathedrale im Auge. Auch wenn sie zu den ersten bedeutenden romanischen Bauwerken Spaniens zählt, können wir uns für sie nicht übermäßig erwärmen. Gerade findet eine Messe statt, welche von bald mehr giftgrün-gold-uniformierten Geistlichen zelebriert wird, als Gläubige in den Bankreihen knien; das macht ihre Aufführung in dicht-wallenden Schwaden beißenden Weihrauchs noch abstrakter, und wir werden eher Augenzeugen einer intimen Seance als Beobachter eines Gottesdienstes. Später, als wir den Jockl mit
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