Mit Jockl nach Santiago
Jockl; er begrüßt uns, angestrahlt von blendender Sonne, und funkelt im Glitzerkleid tausender Wassertröpfchen.
Sangüesa hält uns nicht mehr lange. Wir wollen weite Landschaft und Luft zum Atmen und nicht den Mief einer nahen Papierfabrik, der wie eine ewige Dunstglocke über der Stadt hängt, wenn nicht gerade ein günstiger Luftzug das Aroma in die Gegenrichtung verteilt. Mit der Brücke über den Río Aragón lassen wir die Stadt zurück und fahren in eine grenzenlose Monotonie hinein. Nach sieben Kilometer mit relativ frischem Fahrtwind um die Ohren sichten wir Aibar. Die Häuser des Ortes staffeln sich einen steilen Hang bis zu einer Kirche hinauf, zu der drei Arbeiter gerade eine Straßenbeleuchtung installieren. Wir besichtigen die düstere Kirche und spazieren, nach einer »panadería« (Bäckerei) fahndend, durch die Beinahe-Leere des Dorfes. Eine Katzenfamilie mit Mama-Mieze und fünf drolligen Fellknäulchen spielen In-die-Ohren-beißen; ein alter Mann humpelt stockgestützt eine steingepflasterte Gasse zu einem Tabakladen, der von außen besehen nicht gleich als solcher erkennbar ist. Sämtliche Geschäfte verbergen sich hinter normalen Wohnhausfassaden ohne jede Firmenaufschrift oder sonstigen Hinweis. Die Ortsbewohner verschwinden durch gewöhnliche Haustüren und erscheinen Minuten später mit Brot, Wurstwaren oder Säcken mit Lebensmittel wieder. Gewußt wo! Diese Intimität eines Ortes, wo jeder weiß, hinter welcher Tür, welchem Vorhang er seine Oliven, seinen Käse oder seinen Blümchenstoff für eine neue Hausschürze bekommt, erweist sich für uns oft genug als ein zeitraubendes Suchspiel. Da bräuchten wir Brot und finden einfach nur den Friseur, und statt der nötigen Eisenhandlung kreisen wir ständig zwischen Metzger, Gemüseladen und Fischgeschäft herum. Aber Dauerwellen schmecken einfach nicht, und Faschiertes ersetzt kaum eine Tube Flüssigmetall. Also müssen wir wieder unverrichteter Dinge abziehen. So auch jetzt.
Erneut widmen wir uns der Hecken- und Distelmonotonie. Kurz nach Eslava erinnern wir uns unseres noch immer tropfnassen Zeltes und verpassen ihm unter beständiger Sonneneinwirkung eine Soforttrocknung, indem wir es abseits der Straße über karges Gestrüpp breiten. Die Gegend bleibt monoton: Hügel bis zum Horizont, auf manchen davon kleine Eremitas, Kapellen in unserem Sinne. Alles in allem das Kontrastprogramm zu Frankreichs abwechslungsreicher, grüner Landschaft- Eine größere Anzahl Bussarde kreist in Fernglashöhe über uns, während wir die Hügelkette von Lerga überqueren. Jenseits dieser Kette beginnt eine großangelegte Bodennutzung mit Olivenhainen, Getreidefeldern und Weinbau. Aber das nehmen wir nurmehr am Rande wahr, denn an einem anderen Rand - dem Horizont - wachsen hinter einer weiten Ebene die königlichen Türme von Olite gegen den Himmel. Auf einer breiten, sanft abfallenden Geraden zieht uns die markante Stadtsilhouette wie einen Fisch an der Angel zu sich. Ein Türmereigen wie aus einem Märchenbuch fixiert unsere Blicke, doch noch selbst eine halbe Stunde später, als wir vor der Stadt den Jockl parken, ahnen wir nicht, wie schnell uns Olite erobern und begeistern wird. Der allesbeherrschende Königspalast prägt das Stadtbild seit die Könige von Navarra Olite zu ihrer Residenzstadt wählten und sie demgemäß mit einem gewaltigen gotischen Palastbau, der auch militärischen Aufgaben gewachsen war, ausstatteten. Eine großangelegte Renovierung und Rekonstruktion zerstörter Gebäudeteile zeigen heute dem Besucher, mit einer Spur fehleingesetzter Fantasie, eine fast schon zu perfekte Pracht aus Türmen, Innenhöfen, Galerien, Gärten, Terrassen, Hallen und Gemächern. Nichtsdestotrotz bietet sich von den Türmen ein 360°-Ebenenpanorama, das die Stadt zu Recht mit einer Perle in der Auster vergleichen läßt.
Für die Besichtigung von Stadt und Palast müssen wir uns genügend Zeit nehmen, warten doch noch andere Gustostückerl auf uns, wie zum Beispiel die gotische Palastkirche Santa María - Wolfgang fotografiert sich an ihr fast die Finger wund -, oder die Kirche San Pedro, die zwar wegen Renovierung geschlossen ist, deren Besuch des sehenswerten Kreuzganges uns jedoch durch einen Seiteneingang über Mörtelschüsseln, Maurerkellen, unter Gerüsten und Abdeckfolien hindurch, ermöglicht wird. Olite lebt in ihren herrlich gemauerten, ockerfarbenen Häusern und sauberen Gassen ein ruhiges, provinzielles Dasein. Auf dem Platz vor dem Parador
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