Mit Jockl nach Santiago
strahlender Laune, die nimmt uns auch eine kleine Ungereimtheit mit Autobahn und Schnellstraße nicht. Noch vor Mittag laufen wir im elf Kilometer entfernten Navarrete ein. Und hier begegnen wir erstmals auf dieser Tour größeren Pilgergruppen, die mit mittelschwerem Marschgepäck auf dem Camino wandern. Einige der wackeren Marschierer humpeln bereits schwitzend Und körperlich angeschlagen als abgehängte Nachhut hinterdrein. Aus ihren angestrengten Gesichtern spricht verständlicherweise kein Interesse für Navarretes mittelalterliche Gassen. Die gehören wieder einmal uns allein, und wir werden auch nicht so schnell müde, an den riesigen gemeißelten Wappen über Tür und Tor und an den bröckelnden Fassaden die noble Vergangenheit des Ortes abzulesen. Mancherorts scheinen nurmehr die elektrischen Leitungen an den Außenwänden allzu brüchiges Mauerwerk zusammenzuhalten. Erschreckend, zu welchen Halbruinen Häuser eines ehemals blühenden Ortes und wichtige Station am Jakobsweg verfallen konnten. Dabei zeigen sich die hier wohnenden Menschen stolz auf Navarretes große Vergangenheit, aber das ist in der Regel fast alles, was sie zur Erhaltung einer nach Restaurierung lechzenden Bausubstanz tun. Doch wenn sich unsere gemachten »Bruch«-Beobachtungen auch nur auf Bereiche der Altstadt beziehen, so rührt es einen ja trotzdem oder gerade deswegen, diese ehemals herrlichen Bauten so zu Schutt und morschem Holz verdämmern zu sehen. Allein die Kirche macht noch einen Eindruck, als sei sie für die Ewigkeit gebaut. Hier tappt Wolfgang im Fast-Dunkel nach einem Lichtschalter suchend herum, bis er ihn endlich findet und im Aufleuchten des Lichts geblendet, zurückschreckt. Der Hochaltar, eigentlich eine bis zur Decke reichende Altarwand funkelt golden in üppigem Schnörkelbarock. Nichts für mich; da bleibe ich lieber weiterhin einer einfachen Romanik treu.
Unterhalb der Kirche auf einer baumbeschatteten Terrasse öffnet gerade ein kleines Restaurant. Dort sitzen wir keine fünf Minuten unter den Platanen, als ein regelmäßiges Geklapper die Gasse heraufhallt. Aufgeregtes Horchen und dann: »Des sans wieda!« kommt es fast wie aus einem Mund. Tatsächlich! Ich beuge mich über die Balustrade und da klickerdiklacken sie schon daher - das Reiterpaar aus Torres del Rio. Der Mann hat uns sofort im Visier, ruft fragend und wissend zugleich: »El tractor?!« - »Sí, sí!« Und schon lenkt er die kleine Karawane zur Terrasse herauf, leint die Gäule an der Balustrade an, begibt sich mit seiner Gefährtin zur Bestellung ins Restaurant und setzt sich dann, wie selbstverständlich, zu uns an den Tisch. Die Verständigung bereitet Probleme, wie immer. Doch wir erfahren auch auf etwas umständliche Art, daß die beiden jungen Leute von Barcelona gestartet und mehrere Wochen durch Nordspanien zu ihren »Amigos« in ein stromloses Bergdorf Galiciens unterwegs sind. Die fast edel zu nennenden Gesichtszüge des Mannes stehen in eigenartigem Kontrast zu seiner äußeren Aufmachung. Seine kleinwüchsige, drahtige Figur steckt in weiter Hose, buntgemustertem Hemd und weichledernen, hellbraunen Schnürstiefeln; seine dunkle, wollige Haarmähne trägt er unter einer zimtfarbenen Mütze zu einem dicken Zopf geflochten. - Ein sympathischer und obendrein sehr attraktiver Zeitgenosse. Ebenso seine Partnerin, die mit dem Wirt das bestellte Essen und Trinken auf dem Nachbartisch arrangiert. Sie, genau wie er, in weiter, schwarzer Hose und locker sitzender Jacke, das schwarzglänzende Haar baumelt zu einem Pferdeschwanz gebunden über dem Nacken. Nur ihre Gesichtszüge spiegeln etwas Zigeunerhaftes, Stolzes, Reserviertes wider. Sie spricht wenig, ißt dafür später mit großem Appetit und leert die Flasche Bier mit sichtlichem Genuß. Der begleitende Vierbeiner der beiden, ein wonniger Kerl und hoffnungslose Flohkiste, verfolgt mit sehnsuchtsvollen Blicken die Tafelfreuden seiner gestrengen Herren, die ihn per Fingerzeig zu den Pferden verweisen; er gehorcht augenblicklich. Wir hingegen gehorchen unserem Reisetrieb und machen uns wieder auf den Weg. Das kehlige »Buen viaje!« des Reiters läutet noch in den Ohren, als wir Navarrete mit einem kurzen Stopp am romanischen Portal des Friedhofs am Ortsausgang verlassen.
Für eine knappe Stunde geht es vorbei an Getreidefeldern und vor allem durch hügeliges Weingebiet - La Rioja-Weine genießen Weltruf- bis wir geradewegs auf die nächste Kulisse zusteuern, eine rostrote, weitläufige
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