Mit Jockl nach Santiago
Vorgeschichte zu diesem Jakobskult, mangels historischer Belege, fast nur in legendenhaften Sphären abspielt, die allesamt in Grimm’s Märchenbuch besser aufgehoben wären als Tatsachen zu dokumentieren. Allenfalls taugen sie, um Santiagos Glorienschein zu steter Helligkeit schüren.
Inzwischen zockeln wir, bar jeder Ortsbeschilderung, durch ungewisse Gegenden und entscheiden selbst, welcher Ort auf der Landkarte dem in natura entspricht. Da die Straße auf viele Kilometer von endlosen Häuserreihen gesäumt wird, erfolgen die Übergänge der einzelnen Dörfer sozusagen nahtlos, und wenn wir Glück haben, enträtseln wir unter dem verblaßten Firmennamen der einen oder anderen Werkstätte die jeweilige Adresse und können somit unseren genaueren Standort bestimmen. In der Praxis bedeutet das: wir glauben unseren Vormittagskaffee in Casal de Mogos zu schlürfen und befinden uns in Wirklichkeit bereits in Vilagarcía, wo wir den ersten Festlichkeiten zu Ehren des Heiligen Jakobs begegnen. Ein Umzug aus Dudelsackpfeifern und »gigantos y gigantillos« genannten Riesenfiguren - einer salzburgischen Samsongruppe nicht unähnlich - zieht zu den jammernden Klängen durch die Straßen, sorgt mit Trara für Auflauf und teilweisen Verkehrsstau, den eine dienstbeflissene Polizei sofort wieder in geregelte Bahnen leitet. Wie ein effektvolles Schlußlicht rattern wir dabei mit Gedröhn an Musikanten und neugierigem Volk vorbei, stadteinwärts, direkt zum Hafen. Dort schlingert in leichtem Wind ein Meer schneeweißer Yachten in der geschützten Bucht. Das Wasser schwappt in beruhigend regelmäßigem Aufklatschen gegen die Kaimauer, während einige wenige Besitzer solch luxuriöser Planken gerade Vorbereitungen zu feiertäglichen Familienausfahrten treffen, mit Bergen von Essensvorräten, die sich in Picknickkörben Taschen und Kisten auf den Stegen stapeln. Irgendwie lustlos latschen wir durch den Mastenwald und wissen nicht so recht, was tun. Vilagarcia hat uns in ihrer unerwarteten Ausdehnung völlig überrumpelt und uns ganz einfach ermüdet. Einhellig nehmen wir die Fahrt durch besiedeltes Gebiet mit Ortschaften ohne Anfang und Ende wieder auf. Prächtiges Buschwerk aus Oleander und Bougainvillea lenkt von der Trostlosigkeit der Häuser ab; stattliche Höhen von Palmen und Eukalyptus krönen die bunte Vegetation zu der auch fruchttragende Orangen- und Zitronenbäume gehören.
Cambados, die Stadt am Meer mit ihren angenehmen Ausmaßen, ihren ruhigen Gassen, dem vortrefflichen, dekorativen Palacio de Fefiñanes und den zahlreichen Adelshäusern verdient wieder eine aufmerksamere Behandlung als die vorangegangenen Orte. Auch die Affenhitze vermag uns nicht daran zu hindern, daß wir sicher zwei Stunden durch den Ort streifen. Vor einer Kirche im südlichen Stadtteil mischen wir uns unter die Gratulanten einer Hochzeitsgesellschaft, die das frischgetraute Paar vor dem Portal mit überschwenglichen Glückwünschen und stürmischen Umarmungen vom Luftholen abhält. Wolfgang versucht, die zu Tränen gerührte Braut vor die Linse zu bekommen, während ich als überzeugter Single mit skeptischer Miene wieder einmal nachsinniere, was wohl den Zauber einer Hochzeit ausmacht.
Froh, nicht mit goldenen Ringen aneinandergekettet zu sein, besteigen wir unseren Jockl und begeben uns auf die letzten 20 Kilometer für den heutigen Tag. Bei Dena, acht Kilometer nach Cambados, wählen wir eine fragliche Abkürzung durch das Hinterland zur Küste der Ria de Pontevedra, wo wir uns in Sanxenxo, dem Jesolo Galiciens, auf die Suche nach einer vier Quadratmeter großen Übernachtungsfläche machen; recht viel mehr Platz wird man uns in diesem Sardinenbüchsendasein auch nicht zuteilen können. Hotelanlagen, Restaurants, endlose Schlangen parkender Autos am Straßenrand entlang des Strandes und absolut null Flair - das ist Sanxenxo. Wer Sonnenöl nicht riechen kann, wem schluchzende Kinder zwischen zerstörten Sandburgen ein Greuel sind, wer sich vor barbusigen Fettbergen ekelt und Adonisgehabe dunkelhäutiger Schönlinge lächerlich findet, der meide das Strandleben. Lärm, Enge und ständige Belästigung durch hin- und herstapfende Badegäste, verirrte Wasser- und Fußbälle auf Gurkensandwiches, plärrende Krabbelkinder mit Sandschäufelchen im Speckhändchen und Sandküchlein im Mund, zusätzlich eine soundige Berieselung verschiedener Radiosender im Umkreis von zehn Metern, all das scheint nach wie vor sehr beliebt zu sein. Und wenn ich meine
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