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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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ungewissem Ziel. Mit Noia haben wir nun auch den westlichsten Punkt unserer Tour passiert und befinden uns jetzt praktisch in der Kehre zwischen Hin- und Rückreise. Bar jeden Anhaltspunktes auf der Landkarte zockeln wir auf grauenhaft schlechter Straße durch bergige Gegenden mit winzigen Bauerndörfern. Vor den Häusern unter Sonnendächern aus Weinranken verbringen runzlige, alte Weiblein lethargische Siestastunden; kaum, daß sie uns eines Blickes würdigen, als seien sie an eigenartige Traktorgespanne unserer Art gewöhnt. Die verhärmten, herben Gesichter der Frauen erzählen von langen, harten Jahren in der Einschicht, von der innerlichen Erstarrung in einem ewig gleichen Lebens- und Arbeitsrhythmus. Ihre schwarzgekleidete Reglosigkeit fügt sich treffend in das Bild leerer Kornspeicher und ergänzt es zum Dokument einer stehengebliebenen Zeit.
    Mit gelegentlichen Ortsschildern in galizischer Sprache können wir absolut nichts anfangen, und so fahren wir weiter südwärts ins Blaue; zumindest stimmt die Grundrichtung. Almlandschaften mit felsigen Gesteinsbrocken auf kargem Boden folgen auf Kiefer- und Heidevegetation, als uns nach eineinhalbstündiger Fahrt blauschimmernder Horizont Meeresnähe verrät, womit wir die Halbinsel zwischen den Meeresarmen der Ria de Muros e Noia und der Ria de Arousa überquert hätten und direkt auf Rianxo zusteuern. Dort parken wir den Jockl für ein heldenhaftes Atlantikfoto am Hafenkai ab; dahinter schaukeln auf unruhigem Wasser bunte Fischkutter wie kleine Spielzeugschiffchen, und weit draußen zeichnen sich die südlicher gelegenen Landzungen und Inseln gegen den klaren Horizont ab. Endlich sorgt auch eine forsche Brise für Umwälzung der stickigen Luftmassen und läßt uns in einem Hafencafé mit Sicht auf Jockl und Meer einen verdienten Café con leche schlürfen.
    Einige Kilometer außerhalb des Ortes bietet sich ein kleiner Campingplatz zum Übernachten an. Ideal in Küstennähe gelegen, verbringen wir den Abend bis zum wolkendurchzogenen Sonnenuntergang auf herrlich ofenwarmen Felsen am Strand.
     
    Jockls Auszeichnung, eine metallene Jakobsmuschel, die ihm Wolfgang als Zeichen seiner vollbrachten Pilgerschaft vorne an die Motorhaube montiert hat, glänzt in der ersten Morgensonne. Ganz Spanien taumelt heute in Festtagsstimmung zum Namenstag seines Schutzpatrons, des Heiligen Jakob, und namentlich Santiago wird im frisch erzeugten Weihrauchnebel der Kathedrale, unter gemeinschaftlichem Gehuste, dem glorreichen Heiligen huldigen und anschließend vor Lustbarkeiten fast überbrodeln. Vor zwei Tagen haben wir noch überlegt, ob wir unseren Aufenthalt in Santiago bis zum 25. Juli ausdehnen sollten, um die Galicier einmal so richtig in ihrem Element des Feierns zu erleben, entschieden uns dann aber doch gegen die uns bereits im Geiste erdrückenden Menschenmassen.
    Stattdessen tingeln wir durch ziemlich zersiedelte Landschaft ohne nennenswerten Reiz weiter die Küste entlang. Endlich nach langweiligen Kilometern verengt sich die Ria von Arousa zusehends zur Mündung des Río Ulla. Bei Catoira passieren wir die Provinzgrenze zwischen A Coruña und Pontevedra, gleichzeitig wechseln wir über eine Brücke auf die andere Seite des Meeresarmes und halten dann unbeirrt Kurs auf Vilagarcía de Arousa. Entlang der Küste erinnern in verschiedenen Abständen steinerne Kreuze, »cruceiros« genannt, an die Ankunft des aus Palästina kommenden Schiffes mit dem Leichnam des Heiligen Jakobus d. Ä. an Bord, das in die Bucht von Arousa einlief und bei Irina Flavia, der heutigen Stadt Padrón am Río Ulla, vor Anker ging. Ungesicherten Quellen zufolge, brachte eine Gruppe von Christen den Apostel nach seiner Enthauptung in Jerusalem auf ein Schiff, das nach Hispania auslief, also jenes Land, in dem sich Jakobus einst wenig erfolgreich als Missionar versucht hatte. Nördlich des damals römischen Iria Flavia moderten dann die sterblichen Überreste des Heiligen letztendlich vergessen in einer Nekropole dahin, bis schließlich im 9. Jahrhundert wundersame Lichterscheinungen zur Wiederauffindung des Grabes führten. Mit dem Bau einer Kapelle, die bereits 50 Jahre später durch eine Kirche abgelöst wurde, nahm eine sagenhafte, europaweite Pilgerbewegung ihren Anfang. Dabei verfolgten Rom und Jerusalem - die damaligen Zentren der wallfahrenden Christenheit - bestimmt nicht ganz neidlos die ins ferne Galicien strömenden Massen ihrer bislang treuen Schäfchen. Schade, daß sich die

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