Mit Jockl nach Santiago
über das Innere der Kirche, die mit unvermuteter Helligkeit und weißem Blumenschmuck aufwartet, der zusammen mit den Reiskörnern vor dem Portal auf eine kurz zurückliegende Hochzeit deutet. Während Wolfgang im Umfeld von Santa Maria jeden Winkel auf Fototauglichkeit prüft, werde ich zufällig gebannter Zeuge eines alltäglichen Dramas, als sich praktisch zu meinen Füßen unterhalb einer Mauer eine Blindschleiche im geräuschlosen Kampf mit einer Äskulapnatter windet. Der Ausgang des heftigen Geringels steht von Anfang an fest. Es ist nur eine Frage von einigen spannungsgeladenen Minuten, ehe die Blindschleiche als Verlierer und gehaltvoller Sonntagsbraten zwischen den aufgeklappten Kiefern der Äskulapnatter zentimeterweise ihrer Bestimmung entgegengeschoben wird. Mit einem leisen kurzen Rascheln zwischen Blättern und Gras entschwindet die Natter im Dunkel des Mauerschattens und ward nicht mehr gesehen. Der Sonntagsfrieden bleibt von alldem unberührt. Nicht hingegen ich; in einem kleinen Spaziergang hinter die Kirche, hinein in eine Apfelgartenidylle, muß ich das Gesehene erst verdauen wie die Schlange ihr Opfer. Inzwischen unterhält sich Wolfgang beim Jockl mit einigen Leuten und erfährt dabei aus ihren begeisterten Erzählungen, daß unser verunglückter Fernsehauftritt am Camino bereits gesendet wurde. Na, auf diesen Murks brauchen wir nicht stolz zu sein. Wenn ich nur an das Interview zurückdenke, überfällt mich noch im nachhinein trotz des Spaßes peinliches Unbehagen.
Amüsiert über die eben vernommenen Neuigkeiten, schwitzen wir die letzten Kilometer Ribadavia entgegen. Die Stadt gefällt uns auf Anhieb mit ihrer verwinkelten Anordnung hoch über dem Río Mino. Stattliche Häuser begrenzen kleinere und größere Plätze und bilden schattige Gassen zum Fluß hinunter, wohin wir, dem weisen Ratschlag einer mitfühlenden Einheimischen folgend, zur Abkühlung runterwandern und bäuchlings die Arme ins fantastisch kalte Wasser des Río Mino strecken. Ahh, was für eine Wohltat! Aber wie immer wären wir keine richtigen Touristen, wenn wir nicht trotz sengender Hitze unser Programm durchziehen würden, während sich Katzen und Hunde flach wie Pfannkuchen und träge wie Mühlsteine auf dem brennheißen Steinpflaster wohlig zur Siesta ausgestreckt haben. Ribadavias Vergangenheit als ehemals galicische Königsresidenz sowie zahlreiche Baudenkmäler, darunter ein sehenswertes Judenviertel, geben Grund genug zur Ruhelosigkeit. Erst am frühen Abend nach einem verdienten Kaffee entläßt uns die Stadt ins acht Kilometer nördlich gelegene Leiro Grande, einem Hauptort im bekannten Weinbaugebiet von Ribadavia. Weingärten soweit das Auge reicht - sie verwöhnen unsere stadtmüden Augen mit ungewohnt sattem, frischem Grün.
Auf Leiro Grandes Campingplatz entdecken wir zu unserem Schreck, daß uns heute morgen an der Rezeption des letzten Campingplatzes eine falsche Campingkarte ausgehändigt wurde. Gottseidank haben wir die Telefonnummer des Platzes, und so klärt sich der Irrtum nach zwei Telefonaten auf und innerhalb der nächsten Stunde bringt uns der nette Campbesitzer von gestern die Karte vorbei - so locker und ohne Umschweife, als wohne er gleich gegenüber. Sprachlos über dieses prompte Kundenservice rechne ich im Geiste nach: Für knappe 70 Kilometer von Ponteareas bis Leiro Grande benötigten wir mit Pausen sage und schreibe einen ganzen Tag; dieselbe Strecke - Abkürzung gibt es keine - legt der gute Mann nun in weniger als einer Stunde zurück. Trotzdem und gerade deswegen ist Langsamkeit unser absoluter Trumpf auf dieser Reise!
Die herrlichen Blicke von gestern erfahren heute bei der Rückfahrt nach Ribadavia eine Neuauflage, diesmal allerdings im märchenhaften Dunstkleid eines frühen Tages, obgleich ein wolkenloser Himmel auch heute für tropische Zustände garantiert. In Ribadavia füllen wir nach längerer Zeit unsere Proviantkiste wieder auf; die Brot-Apfel-Diät von gestern überzeugte uns von der unbedingten Notwendigkeit dieser Maßnahme. In der vormittäglichen Betriebsamkeit des Städtchens gönnen wir uns einige Momente unbeschwerten Bummelns in stillen Seitengassen und den letzten Kaffee des Tages, bevor die große Hitze alle Empfindungen niederwälzt und uns auf zwei nasse Haufen aus Stoff und Körper reduziert.
Die Fahrt, eine Strecke von rund 70 Kilometern, leidet gleich nach Beginn unter folgenschweren Entscheidungen, zu denen wir uns bereits leicht genervt durchringen,
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