Mit Jockl nach Santiago
da fehlende Straßenschilder eine genaue Festlegung der Zielrichtung nicht zuläßt. Die ersten Abzweigungen tätigen wir nach dem Kompaß meines »Gefühls« oder dem Zustand der Straße, und so landen wir, wie befürchtet, in der Sackgasse einer Hofhund- und Hühnergemeinschaft. Nach einem neuen Anlauf dauert es noch bange Minuten, ehe wir die Zufahrt zur Brücke über den Río Mino ausfindig machen, außer der Autobahn auf viele Kilometer die einzige Möglichkeit den Fluß zu überqueren. Die erste Hürde genommen, konzentrieren wir uns mehr auf die Schlaglöcher der Straße, als auf die gelegentliche Beschilderung. Im steten Bergauf zieht Jockl eine sehenswerte Staubspur hintennach, und bald können wir auf den ansehnlichen See des gestauten Río Mino runterschauen und im schimmernden Blau ein Augenbad nehmen. Was kommt, faßt man in der Ausdrucksweise des einfachen Mannes wie folgt zusammen: »Auf na gschissnen Stroßn durch a Offiihitz!« Anfangs begeistern uns noch nostalgische Dörfer; eingestürzte Häuser wecken unsere Neugier und verschiedenartige Bauweisen von Kornspeichern bereichern Wolfgangs Horreo-Fotoserie mit neuen Prachtstücken. So wie wir an Höhe gewinnen, klettern auch die Temperaturen zu ersten Schweißausbrüchen. Die Einsamkeit der galizischen Berge und der miserable Straßenzustand versetzen uns schlagartig Jahrzehnte zurück. Beinahe fühlen wir uns als motorisierte Eindringlinge in einer Welt von gestern, in der wir schon hinter der nächsten Kurve die knarrenden Räder eines überladenen Pferdefuhrwerks hören könnten oder vor dem geistigen Auge ein schwerfälliges Ochsengespann den Pflug durch den Acker zieht. Doch wir bleiben, abgesehen von Käfern und Schmetterlingen, die einzigen Lebewesen auf unserer Tour - keine Menschenseele, kein Auto, kein Kondensstreifen am Himmel, kein Wind, kein Bienengesumm, kein Vogel, nichts, nichts, nichts - lauter außer dem eigenen Pulsschlag kann Stille nicht mehr sein. Eine Gegend zum Sinnieren und Philosophieren, nur jetzt nicht, solange der Schweiß in Bächen fließt und unsere Gehirnzellen mit Gedanken an Eis in jeder Form blockiert sind. Zu allem Übel wählen wir bei einer Weggabelung eine falsche Abzweigung und bemerken diesen Irrtum erst einige Zeit später. Umdrehen kommt jetzt nicht mehr in Frage, so setzen wir die Fahrt fort, die zwar durch landschaftlich reizvolle Gefilde führt, aber letztlich einen ziemlichen Umweg bedeutet. Gelegentlich einen Fahrerwechsel - das bleibt auf lange Sicht das einzige, das wir noch zu wechseln imstande sind, denn unsere Stimmung pendelt beharrlich in schweigsame Mißlaunigkeit über.
Nach über vier Stunden Berg- und Hochplateausauna senkt sich die Straße nach Celanova hinunter. Eine ausgiebige Pause tut not, in der wir uns wie greise Mekkapilger durch die Stadt schleppen. Mir scheint, die Hitze bekommt langsam Gewicht denn wie unter großen Traglasten wanken wir auf schmalen Schattenstreifen ziellos durch die Straßen, ehe wir zum Dreh- und Angelpunkt, der Plaza Mayor mit seinem monumentalen Klosterkomplex San Salvador, eines der bedeutendsten Klöster Galiciens, zurückkehren. Lange Zeit verbringen wir in der Kühle seines sonnengeschützten Kreuzgangs und lassen unsere Lebensgeister wieder zu Atem kommen. Doch kein Vergnügen ohne Buße - nach der angenehmen Gedämpftheit des Klosters bohrt sich das blendend grelle Tageslicht wie Nadelstiche in die Pupillen, und die sengende Hitze schlägt uns wie eine Mauer entgegen, die das bißchen Erholung gleich in der ersten Sekunde zunichte macht. Der Körper klebt wie Tesafilm und die Jeans hängt in feuchter Gewichtigkeit, wie frisch ausgewrungen, an den Hüftknochen. Und nur weil ich mir nichts Besseres weiß, torkle ich Wolfgang hinterdrein geradewegs in eine Bar. Immer Kaffee - er hängt mir zum Hals heraus, Mineralwasser ebenso und alles andere auch. Außerdem bin ich mir selbst zuviel, und ich wünschte, der hurtig eiernde Deckenventilator über uns würde mir auf den Kopf fallen und mich von mir erlösen. Ich fühl’ mich wie zu Trockenobst geschrumpelt, leider fehlt es mir an konzentrierter Süße, stattdessen häufen sich saure Reaktionen. Jockl steht indes die ganze Zeit über in praller Sonne und strahlt wie eine glühende Herdplatte, als wir ihn wieder erklettern.
20 Kilometer bis Allariz östlich von Celanova müssen wir noch schaffen. Inzwischen steigen watteweiße Wolkentürme vor uns auf; hinter uns beginnt sich der Himmel einzutrüben, und um
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