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Mit Jockl nach Santiago

Mit Jockl nach Santiago

Titel: Mit Jockl nach Santiago Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heide Fürböck
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darin untergebrachte Militärmuseum hat um diese Zeit natürlich geschlossen, so drehen wir eine Runde durch den sich anschließenden Park, von dem sich ein guter Blick hinunter auf die Neustadt bietet.
    Wieder zurück in den engen Gassen im Herzen der Altstadt, wo die Abendsonne ihr Zutrittsrecht bereits verwirkt hat, studieren und beobachten wir in Cafés und Straßen den sehr eigenwilligen portugiesischen »way of life«. Im überbordenden Gewimmel von Chaves stellt der Río Támega als träges, fast stehendes Gewässer den Ruhepol der durch ihn geteilten Stadt dar. Quert man die römische Brücke, die 140 m lange Ponte Romano, so kann man sich dem Trubel beiderseits des Flusses für kurze Augenblicke entziehen. Nein, Chaves hat uns nicht enttäuscht - es hat sich nicht verändert, genausowenig der Campingplatz am Ufer des Támega: dieselbe ungepflegte Schludrigkeit, dieselbe Überfülltheit! Wie tröstlich, daß sich in unserer ach so schnellebigen Zeit nicht immer alles ändert, außerdem begegnet man einkalkuliertem Dreck ohnedies viel gelassener.
     
    Nach einer sehr kurzen Nacht verhindert Vögelgekreisch im Geäst über uns und Gänsegeschnatter am Fluß die letzte Möglichkeit eines erholsamen Morgenschlummers. Die Campingkatze maunzt ums Zelt und verlangt nach Streicheleinheiten - hungrig wird sie kaum sein, nachdem sie gestern Abend bei allen Gästen ihren Freßchen-Zehent erschmeichelt hat.
    Chaves bestimmt fürs erste einmal unser heutiges Vormittagsprogramm: Einkäufe, Post- und Bankerledigungen und wie immer Beobachtungen des Straßengeschehens, das sich in einer seltenen Emsigkeit und Ruhelosigkeit abspielt, ohne Jedoch in Hektik auszuarten. Mitten im Verkehr, im Geschubse und Gedränge der Menschenmengen, denen der Unterschied zwischen Gehsteig und Fahrbahn nur wenig geläufig sein dürfte, wurschteln wir uns im wahrsten Sinn des Wortes voran. Wie so oft erlebt, verschleiern auch hier die Geschäftsaufschriften ihre wahre Bestimmung. Bei einer dieser Gelegenheiten lernen wir das breitgefächerte Angebot eines Wollgeschäftes kennen, das neben seinem Hauptartikel Wolle auch Briefmarken, Besen, Mäusefallen und Alugeschirr im Warensortiment hortet. Im Tabakladen gegenüber bekommen wir Shampoo und im Obstgeschäft Ansichtskarten - alte versteht sich, abgegriffen, vergilbt und mit Eselsohren.
    Bis wir unsere sieben Zwetschken im Körbchen haben, zeigt der Sonnenstand bald Mittag, das heißt, wir müssen uns losreißen, ehe wir uns von Chaves gänzlich vereinnahmen lassen. Und da wir gestern im ersten Freudentaumel gleich wieder eine Routenänderung vorgenommen haben, fahren wir heute statt ins östliche Braganga ins südöstlich gelegene Mirandela, laut Straßenkarte eine locker zu nehmende Strecke von läppischen 53 Kilometern. Außerhalb der Stadt führt die Straße aus der Ebene in einigen Kurven in die hügeligen Gefilde der Serra do Brunheiro. Unterhalb der Ortschaft São Lorenço schicken wir einen letzten Blick über Wein- und Obstgärten und Reihen von Mandelbäumen nach Chaves hinunter, deren Neustadtwucherungen uns erst hier aus der Entfernung so richtig ins Auge springen - also doch nicht alles beim Alten.
    Die Temperaturen steigen mit jedem Höhenmeter, so daß wir in Vilarandelo, 20 Kilometer nach Chaves, wie ausgedörrt in die nächstbeste Bar einfallen. Eine gute Stunde später in Valpaços rafft uns die Hitze endgültig dahin. Wie Leichen liegen wir reglos in der Schattenkühle des Stadtparks und lugen mit halbgeschlossenen Augen zwischen den Bäumen in die grelle Unwirklichkeit hinaus, die als hartnäckiger Feind die Insel des Labsals umlagert. Sollten wir heute tatsächlich noch selbstmörderische Regungen zur Weiterfahrt verspüren, dann frage ich mich, wie ich mich dazu überlisten kann, auch nur einen Fuß in diese Glut zu setzen. Ein unverhofftes Gespräch mit einer jungen Portugiesin, die im Park die Wartezeit auf ihren Bus verbringt, lenkt mich für kurze Zeit von meinen Überlegungen ab. Sie spricht so gut Englisch, wie ich es mir wünschen würde, erzählt mir einiges aus ihrem Studentenleben in Porto und von ihren langweiligen Ferien hier zu Hause, in der Region Trás-os-Montes, das man mit »hinter den Bergen« übersetzen und auch wörtlich so verstehen kann. Trás-os-Montes - dort, wo der äußerste Nordosten Portugals durch Gebirgsketten vom übrigen Land getrennt wird, in dieser Abgeschiedenheit die Zeit stehengeblieben scheint, die Uhren langsamer ticken, das Land

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