Mit Konfuzius zur Weltmacht
in den Tatsachen suchen und nach vorn blicken«, beschloss das Zentralkomitee der KP auf sein Drängen. Auf gut Chinesisch hieß das: Nicht alles, was Mao gesagt hatte, war richtig. Der Klassenkampf ist vorbei, stattdessen muss jetzt die Wirtschaft modernisiert werden. Mit dieser ZK-Sitzung begann die »Reform und Öffnung Chinas«, bis heute das Leitmotiv der chinesischen Politik.
Was Deng wagte, war für China unglaublich. Das Land, das früher den Großgrundbesitzern und später den »Volkskommunen« gehörte, bewirtschafteten die Bauern nun auf eigene Rechnung. In vier Sonderwirtschaftszonen durften ausländische Unternehmen investieren und Profite machen, später im ganzen Reich. Mit Margaret Thatcher vereinbarte er die Rückkehr Hongkongs zu China, wobei die Stadt mindestens 50 Jahre kapitalistisch bleiben sollte. Dengs Motto: »Ein Land – zwei Systeme.« Er schickte sogar einen Brief an Taiwans Präsidenten Chiang Chingkuo, Sohn des Bürgerkriegsfeinds Chiang Kaishek von der nationalistischen Guomindang, in dem es hieß: »An die Freundschaft in der Kindheit zurückdenkend, sollten wir die Vergangenheit vergangen sein lassen und uns kurz entschlossen für Friedensverhandlungen entscheiden.«
Präsident oder Parteivorsitzender war Deng Xiaoping nie. Bis zu seinem Tod 1997 zog er es vor, hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen. Er bekleidete etwa als Chef der Militärkommission und der Beraterkommission verschiedene Ämter, verzichtete später aber auch auf diese. Am Schluss war er nur noch »Ehrenvoller Vorsitzender der chinesischen Bridge-Vereinigung«. Die Zeitungen wussten nicht, wie sie ihn nennen sollten und behalfen sich damit, ihn »Oberster Führer« zu nennen. Doch niemand focht Deng Xiaoping als höchste Autorität in China an. Er war jetzt der Vater der Nation, ganz in Konfuzius’ Sinne – obwohl er von diesem wenig sprach. Altbundeskanzler Helmut Schmidt fragte ihn einmal halb ironisch, halb im Ernst: »Eigentlich haben Sie sich einen falschen Namen gegeben. Sie nennen sich Kommunistische Partei, dabei müssten Sie in Wirklichkeit Konfuzianische Partei heißen.« Einen Augenblick stutzte Deng, dann sagte er: »Na wenn schon!«
Mit heute über 80 Millionen Mitgliedern ist die Kommunistische Partei Chinas die bei Weitem größte Partei der Erde. Doch mit einer Partei im westlichen Sinne lässt sie sich nicht vergleichen – vielmehr gleicht sie dem Beamtenheer der chinesischen Kaiser, das im Geist von Konfuzius erzogen wurde. In Aufnahmeprüfungen mussten die Kandidaten beweisen, dass sie die Lehren des Philosophen beherrschen. Auch in die KP wird nicht jeder aufgenommen. Er muss von zwei Mitgliedern empfohlen werden und sich während einer Kandidatenzeit prüfen lassen, unter anderem auf seine ideologischen Kenntnisse. Ist er dann erst einmal Parteimitglied, besucht er ständig weitere Schulungen. Über die Parteilinie entscheidet er nicht, denn die wird von neun Männern festgelegt, die einen bürokratischen Titel tragen: »Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas«.
Jeder Tourist kennt die Verbotene Stadt in Peking, den alten Kaiserpalast. Reiseführerinnen erzählen ihm, dass dank der Revolution heute auch normale Bürger diesen Ort betreten dürfen. Was sie meist nicht erwähnen: Wenige Hundert Meter entfernt liegt ein Teil des Kaiserpalastes, der nach wie vor eine Verbotene Stadt ist: Zhongnanhai, übersetzt »Mittlerer und Südlicher See«. Hinter hohen roten Mauern wohnen und arbeiten die roten Kaiser von heute, teils in Gemächern der Kaiser von damals, teils in grauweißen Zweckbauten.
Der Ständige Ausschuss entscheidet in diesem Ambiente, ob Volkswagen ein neues Werk in China bauen darf und wie Pekings Botschafter bei den Vereinten Nationen zu Syrien abstimmt. Fernsehteams und Pressefotografen sind dabei nicht zugelassen, auch keine chinesischen. Die Mitglieder des Politbüros »geben dem Reich der Mitte die großen Strategien vor, und dafür nehmen sie sich die Zeit, die westliche Politiker oft in Talkshows verplaudern«, hieß es einmal im Spiegel . »Regelmäßig lässt sich das Politbüro von Akademikern in ›Studiensitzungen‹ über allerneueste globale Trends in Wissenschaft und Wirtschaft berichten – von der Biotechnologie bis zur Krankenversicherung.«
Zwar hat China auch eine Regierung, deren Premier natürlich dem Politbüro angehört, doch die Minister setzen nur um, was die Parteiführung
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