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Mit Konfuzius zur Weltmacht

Mit Konfuzius zur Weltmacht

Titel: Mit Konfuzius zur Weltmacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Aust
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kam ein Polizist, ein ›Anti-Gewalt-Polizist‹, das ist eine Spezialeinheit, und der hat diesen Fahrer erst einmal erschossen. Dann kamen weitere Polizisten in den Wagen und haben alle Studenten, die darin saßen, erschossen. Einen voll besetzten Wagen.«
    Das chinesische Rote Kreuz hat die Unterlagen der Pekinger Krankenhäuser ausgewertet und kam zu folgendem Ergebnis: Beim Tiananmen-Massaker wurden 2600 Menschen getötet und 7000 verwundet. Parteichef Zhao Ziyang, der sich unter Tränen bei den Studenten entschuldigte, musste abtreten und lebte bis zu seinem Tod unter Hausarrest.
    Zwölf Jahre später versammelten sich wieder Hunderttausende auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Doch statt der Freiheitsstatue trugen sie rote Fähnchen mit fünf gelben Sternen. Für die meisten, die nach 1989 groß geworden sind, ist die Fahne der Volksrepublik kein Symbol des Kommunismus, sondern steht für die chinesische Nation. Gespannt warteten sie auf die Ergebnisse der Tagung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in Moskau, wo über das Gastgeberland für die Sommerspiele 2008 entschieden wurde. Sie waren auf eine lange Nacht eingestellt, denn bei den vorherigen Olympischen Spielen hatte das IOC vier bis fünf Wahlgänge gebraucht, um sich auf einen Austragungsort zu einigen. Schon einmal war Peking gescheitert, 1993, als es sich um die Sommerspiele des Jahres 2000 bewarb. Jetzt wurden erst die Ergebnisse des zweiten Wahlgangs bekannt gegeben. Der greise, damals kurz vor seinem Abschied stehende IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch verlas sie mit stockender Stimme: Peking hatte sich mit 56 zu 22 Stimmen gegen Toronto durchgesetzt. Die Menge auf dem Tiananmen-Platz konnte es nicht fassen, vielen flossen die Tränen. Unter ihr begeistertes Volk mischten sich jetzt die Mitglieder des Politbüros, was in China selten passiert. Staats- und Parteichef war derzeit Jiang Zemin, ein ausgebildeter Elektroingenieur mit dicker Hornbrille, der vor deutschen Staatsgästen gern Goethes »Erlkönig« und vor amerikanischen Abraham Lincolns Rede von Gettysburg rezitierte – beides natürlich in der Originalsprache.
    Eine Begegnung mit Jiang Zemin am 3. April 2002: Chinas Herrscher sprechen nur selten mit der Presse, selbst einheimische Journalisten kommen kaum an sie heran. Streng nach Protokoll sollte deshalb das Spiegel- Interview mit dem Präsidenten ablaufen, Fragen mussten vorher schriftlich eingereicht werden. Bei einem gemeinsamen Fototermin sollten die ebenfalls schriftlichen Antworten übergeben werden. Doch als Jiang Zemin uns im abgeschotteten Regierungsviertel Zhongnanhai in akzentfreiem Deutsch begrüßte, ermunterte er zum freimütigen Gespräch.
    Das fand dann in einem großen Saal statt, an dessen Wänden rundum auf dicken, rot bezogenen Sesseln Mitglieder der Parteihierarchie saßen, um den Worten des »Großen Vorsitzenden« einem deutschen Magazin gegenüber zu lauschen. Erwartungsvoll blickte uns Jiang Zemin an, als hätte er keine Ahnung, dass die Interviewfragen längst schriftlich beantwortet waren. Also führten wir das Gespräch noch einmal, diesmal direkt und persönlich.
    Herr Präsident, in dieser Woche besuchen Sie die Bundesrepublik. Was verbindet Sie mit unserem Land?
    JIANG: »Die deutsche Nation ist eine große Nation, die weltberühmte Schriftsteller, Philosophen und Komponisten hervorgebracht hat. Während meiner Studienzeit habe ich Deutsch gelernt und Werke von Kant, Goethe, Hegel und Marx gelesen. Deutschland kenne ich von mehreren Besuchen. Mich beeindruckt besonders die Mentalität der Deutschen, ihre logische Denkweise, ihre Intelligenz und Disziplin sowie ihr Fleiß.«
    Welche Rolle sollte die Bundesrepublik in der internationalen Politik spielen? Sehen Sie in Berlin einen Gegenpol zum Weltpolizisten USA?
    JIANG: »China und Deutschland setzen sich beide für den Aufbau einer fairen, gerechten politischen und wirtschaftlichen Weltordnung ein. Wir begrüßen, dass Deutschland in den regionalen und internationalen Angelegenheiten eine aktive Rolle spielt. Wir wollen nicht, dass irgendein Staat zum Weltpolizisten wird.«
    China hat sich der Koalition für den Kampf gegen den Terrorismus angeschlossen. Welchen Beitrag kann Peking in diesem Kampf leisten?
    JIANG: »Wir lehnen alle Formen von Terrorismus entschieden ab und sind dafür, die Täter vor Gericht zu stellen. Auch unser Land leidet unter dem Terrorismus. Nach den Anschlägen vom 11. September haben wir unser Engagement in der

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