Mit Konfuzius zur Weltmacht
alles, was wir machen, richtig ist.«
In wenigen Monaten findet der 16. Parteitag statt, auf dem die Führung zugunsten der nächsten Generation abtreten will. Wenn Sie auf Ihre Laufbahn zurückblicken: Was war für Sie die schwerste Entscheidung, was der glücklichste Moment?
JIANG: »Ein Land wie China zu führen und zu verwalten heißt, mit viel Arbeit und komplizierten Umständen konfrontiert zu sein: Jede wichtige Entscheidung berührt die Interessen von Millionen und Abermillionen Menschen. Deshalb müssen wir stets sehr vorsichtig sein. Vor wichtigen Beschlüssen habe ich oft schlaflose Nächte verbracht, um mich gemeinsam mit meinen Kollegen zu beraten und die richtige Entscheidung zu treffen. Ich bin glücklich und zufrieden, wenn sich das Leben des chinesischen Volks verbessert.«
Das Massaker und die Olympiafeier, zwei Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens, die das Riesenreich in so unterschiedlicher Weise bewegten. Was war in der Zwischenzeit geschehen? Nach dem Blutbad 1989 war der Übervater Deng Xiaoping kaum noch in der Öffentlichkeit aufgetreten. Ging nach der politischen auch die wirtschaftliche Öffnung zu Ende?
So schien es zunächst, doch dann holte Deng zu einem neuen Schlag aus. 1992 unternahm er eine »Reise in den Süden«, angeblich ein privater Urlaub, doch führte ihn der Weg zum Entsetzen vieler alter Kader ausgerechnet in Städte wie Shanghai und Shenzhen, wo sich der Kapitalismus zusehends ausbreitete. Wie zu Kaisers Zeiten erhöhten Dengs Lakaien die Reise zum Mythos. Selbst beiläufige Bemerkungen des inzwischen 87-Jährigen, formell ein Pensionär, erhielten tiefe Bedeutung. Deng sagte etwa: »Jetzt, da ich in Shenzhen bin, kann ich nicht einfach hier sitzen und warten. Ich will sofort nach draußen gehen.« Daraus wurden Losungen wie »Sei mutig, geh schneller!«, was bedeutete: die Marktwirtschaft rasanter entwickeln, mehr ausländisches Kapital ins Land holen.
»Als Deng Xiaoping anfing, das Land zu modernisieren mit seinen berühmten Ausflügen in die Südzonen des Landes, war von Konfuzius noch keine Rede«, sagt Sinologe Tilman Spengler. »Aber inzwischen braucht das Ganze, wie man auf Chinesisch gerne sagt, einen Hut und ein Gewand. Und das ist der Konfuzianismus.«
Denn die Veränderungen übertrafen alle Erwartungen: Erst wurde China die Werkbank der Welt. Von Apple bis H & M produzieren alle hier für den Export, profitieren von den niedrigen Löhnen. Jetzt streben die Marken zusätzlich auf den chinesischen Inlandsmarkt und wollen den wachsenden Mittelstand dort bedienen.
Auf der 31. Etage des Grand Gateway Towers in Shanghai tüfteln die Designer der Adidas-Zentrale für »Großchina« (gemeint sind die Volksrepublik plus Hongkong und Taiwan). Sie messen Beine und Schultern einer 1,60 Meter kleinen chinesischen Mitarbeiterin ab. »Wir passen die internationalen Größen an die asiatischen Körper an«, sagt Produktmanagerin Lily Lu. »Wir analysieren die asiatischen Körper sehr genau. Basierend darauf gestalten wir unsere eigenen asiatischen Schnitte.« An den Stangen hängen neue, meist sehr bunte Kreationen dicht zusammengequetscht. Junge, hip gekleidete Chinesinnen und Chinesen arbeiten hier mit Deutschen und Australiern zusammen. Viele junge Chinesen sind heute nationalistisch und globalisierungsfreundlich zugleich. Sie lernen von Ausländern und sehen dies als Chance zur eigenen Entwicklung.
»Feiere deine Originalität«, steht über einem Shanghaier Kundenzentrum von Adidas. Dort fotografiert sich ein Pärchen gegenseitig vor Schuhen des Sportartikelherstellers aus dem fränkischen Herzogenaurach, die zu einem Hügel aufgeworfen wurden, jedes Paar anders als die übrigen. In dem Shop testen Chinesen ihre Kräfte auf einem Laufband mit digitaler Anzeige und wühlen sich durch die Regale. Ihr Leben ist weit entfernt von dem ihrer Landsleute, die diese Schuhe herstellen – ein Widerspruch, der mit Harmonie im Sinne des Konfuzius gekittet werden soll. »Da ist es sehr angenehm, zu sagen: Wir haben diesen Harmoniegedanken«, erklärt Spengler. »Früher hatten wir den Gedanken des Klassenkampfes. Den haben wir nicht mehr, wir sind ja keine wilden, radikalen, exotischen Ultra-linken mehr, sondern wir versöhnen diese verschiedenen Elemente der Gesellschaft in dem Konzept der Harmonie. Darin hat alles Platz, findet jeder seinen Platz, der Arme wie der Reiche. Sie müssen auch nicht gegeneinander kämpfen, weil die Regierung ja für die Harmonie
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