Mit Konfuzius zur Weltmacht
Jintao versucht sich sogar selbst ein bisschen als Konfuzius. Er entwickelte die »Theorie von den drei Harmonien«, wozu er den Frieden in der Welt, die Versöhnung mit Taiwan und die Harmonie in der chinesischen Gesellschaft zählt. Ein anderer Beitrag des trockenen Apparatschiks zur chinesischen Geistesgeschichte sind die »Acht Ehren und acht Schanden«:
Liebe dein Land, schade ihm nicht.
Diene den Menschen, erweise ihnen keinen Bärendienst.
Folge der Wissenschaft, verwerfe die Ignoranz.
Sei tüchtig, nicht arbeitsscheu.
Hilf anderen, statt auf ihre Kosten zu leben.
Sei ehrlich und vertrauenswürdig, opfere die Moral nicht dem Profit.
Zeige Disziplin und folge dem Gesetz, verhalte dich nicht chaotisch und gesetzwidrig.
Lebe einfach, kämpfe hart, suhle dich nicht in Luxus und Vergnügen.
Konfuzius hätte es schöner sagen können, aber diese Grundsätze erinnern an seine Philosophie der Ordnung.
Comeback des Konfuzius
Für Hu Jintao, Staats- und Parteichef sowie oberster lebender Moralphilosoph, gibt es einen Nachfolger: Chinas Vizepräsident Xi Jinping, der im Oktober 2009 Deutschland besuchte. Gemeinsam mit Angela Merkel eröffnete er die Frankfurter Buchmesse, deren Gastland die Volksrepublik in jenem Jahr war. Als Sohn von Xi Zhongxun, der zur ersten Führungsgeneration der Volksrepublik gehörte, ist Xi junior Jahre im Voraus schon als Nachfolger von Hu Jintao festgelegt worden – auch dies ein Versuch, Harmonie zu sichern. Wie viele seiner Mitstreiter ließ Mao auch Xi senior ins Gefängnis stecken, sein Sohn wurde aufs Land verbannt. Später studierte dieser an der angesehenen Pekinger Qinghua-Universität Chemie und Marxismus, promovierte aber in Jura. Es folgte eine Karriere in der KP, unter anderem stieg er zum Parteichef von Shanghai auf. In zweiter Ehe ist Xi Jinping mit der Volkslied-Sängerin Peng Liyuan verheiratet. Nach Madame Mao wird sie die erste First Lady sein, die den Chinesen gut bekannt ist. Derzeit ist sie noch deutlich berühmter als ihr Gatte.
Chinas kommender Mann führte in Frankfurt eine Delegation von 2000 Autoren und Verlegern an. Die Türkei, Gastland im Jahr zuvor, war nur mit halb so vielen Vertretern erschienen. Auf dem Messegelände wurde ein Berg aus 10 000 chinesischen Büchern aufgeschüttet, der von der Größe dieser Kultur zeugen sollte. Aber der Gigantismus der Herrscher mischte sich mit ihrer Angst: Als bei einem Symposium im Vorfeld der Buchmesse zwei kritische chinesische Autoren auftraten, verließen die Offiziellen den Saal.
Zur Fernost-Delegation gehörte auch Yu Dan, Dekanin einer Pekinger Universität mit fransigem Kurzhaarschnitt. 1965 geboren, hat sie klassische chinesische Literatur studiert und in Film- und Fernsehwissenschaften promoviert – die richtige Kombination, um zu dem zu werden, was sie ist: ein Popstar des Konfuzianismus. In ihrem Buch Konfuzius im Herzen erzählt sie in einer modernen und gemeinverständlichen Sprache von den Lehren des vor etwa 2560 Jahren geborenen Philosophen. In China verkaufte sich der Titel mehr als zehn Millionen Mal, Raubkopien inklusive.
Ihre Vorlesungsreihe über Konfuzius wurde auf dem zentralen Sender CCTV 10 ein Quotenrenner, wohl einmalig in der Philosophie- und Fernsehgeschichte. »Die Menschen suchen Halt«, erklärt sie ihren Erfolg beim Gespräch in einem Pekinger Teehaus. »Früher war in unserem Land alles streng kontrolliert, alle waren gleich arm. Die Marktwirtschaft hat neue Möglichkeiten eröffnet. Aber viele fühlen sich darin verloren.« Während die Zeremonienmeisterin des Teehauses Wasser von einem Gefäß in das andere und zurück gießt, erkundigt sich Yu Dan nach dem Hofbräuhaus München und dem Geburtshaus von Mozart in Salzburg. »Ich denke, auch Sie können bei Konfuzius etwas für Ihre Seele finden«, sagt sie. »Wir haben ja auch Ihren Marx gelesen.«
Sie beginnt ihr Buch mit dem Satz: »Schon immer habe ich großen Respekt vor Konfuzius gehabt, jedoch nie ehrfürchtige Distanz empfunden. Für mich waren die Gespräche des Konfuzius ein im positiven Sinne schlichtes, dabei von großer Wärme erfülltes Buch.« Auch distanziert sie sich von allen orthodoxen Auslegungen des Konfuzianismus: »Was uns davon heute zu Herzen geht, hat nicht viel gemein mit der konfuzianischen Schule, die Kaiser Wudi während der Han-Dynastie zur alleinigen Staatslehre machte, nachdem er alle anderen Denkschulen verboten hatte; und ebenso wenig mit der beinahe religiösen Form des Konfuzianismus, dem
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