Mit Konfuzius zur Weltmacht
und mit Stühlen.« Monatelang lag er im Krankenhaus. Und das nur, weil er ein Nachfahre des Konfuzius in der 69. Generation ist.
Jeder Fünfte in Qufu heißt Kong und sieht sich als Verwandter des großen Denkers. Heute gilt wieder: Je näher ein Nachfahre an ihm dran ist, desto höher sein Ansehen bei vielen Chinesen. Der Besitzer des Teeladens gehört zur 75. Generation, der Taxifahrer zur 72. Kong Deming ist schon der 77. Generation angehörig, führt aber im Auftrag der Stadtverwaltung den Stammbaum, der jetzt erstmals auch Frauen enthält. Zu den Konfuzius-Geburtstagsfestivals in Qufu kommen auch entfernte Verwandte aus dem abgespaltenen Taiwan und sogar aus London. Der Stammbaum listet derzeit zwei Millionen Namen auf. »Die Arbeit ist noch lange nicht abgeschlossen«, seufzt Kong Deming. Weltweit, so schätzt er, leben derzeit drei Millionen Nachfahren des Konfuzius, fast halb so viele, wie die Schweiz Einwohner hat. Über den Konfuzius-Verfolger Mao wollen sich die wenigsten der Nachfahren äußern, das ist ihnen nach wie vor zu heikel.
Die Souvenirhändler vor dem Konfuzius-Friedhof verkaufen vergoldete Figuren von Konfuzius, Poster von Mao und Papierbeschwerer von beiden. Diesen Widerspruch lösen sie mit typisch chinesischem Pragmatismus:
»Dieser Konfuzius hier kostet 45 Yuan«, schreit die Händlerin. Was kostet Mao? »Mao? 26 Yuan.« Was sind ihre Gefühle gegenüber Konfuzius und gegenüber Mao? »Mao war der Großartigste, Konfuzius ein Heiliger und ein weiser Philosoph.«
»Das ist ein so immenser Widerspruch, dass man das nur mit einem gewaltigen ideologischen Aufwand zusammendenken kann«, spottet Tilman Spengler. »Aber wie Adorno sagte: Es gibt nichts, was der Kopf der Partei nicht zustande bringt.« Und so kommt zusammen, was nicht zusammengehört – auch im Konfuzius-Tempel von Peking, wo die Konfuzius-Schule ihr neues Unterrichtsjahr eröffnet. Eine Lehrerin malt den Kindern, die blaue und rosarote Trachten aus der Han-Dynastie tragen, rote Punkte auf die Stirn. Gleichzeitig treten kommunistische Jungpioniere mit roten Halstüchern an. Die Kinder pinseln das Schriftzeichen zheng für »Aufrichtigkeit« auf Papier, das Zeichen steht für eines der wichtigsten moralischen Prinzipien des Konfuzius. An Marx und Mao glaubt keiner mehr. Denn trotz Diktatur der Kommunistischen Partei herrscht in China heute ungezähmter Kapitalismus. Deshalb muss eine Ersatzideologie her. Chinas Führung stiftete 2010 sogar einen Konfuzius-Friedenspreis, um damit dem Nobelpreis für den Dissidenten Liu Xiaobo entgegenzutreten.
Auf dem Pekinger Tempelgelände liegt auch die ehemalige Kaiserliche Akademie, die höchste Bildungsstätte des feudalen China. Davor lesen die Grundschüler mit rotem Pionierhalstuch im Sprechchor Konfuzius − wie einst ihre Vorgänger aus der Mao-Bibel.
Chong Xiaogang im sportlichen karierten Hemd ist Bankangestellter, seine dreijährige Tochter gehört zu den neuen Konfuzius-Schülerinnen, sie klammert sich an seinem Bein fest.
Warum nehmen seine Kinder hier teil? »Sie sollen Chinas traditionelle Kultur gut studieren.« Was gibt Konfuzius den Kindern heute? »Seine Tugenden: Humanität, Gerechtigkeit, Pietät und Riten.«
Pisa-Schock und Tigermutter
Erziehung nach moralischen Prinzipien ist manchen Eltern in China heute so wichtig, dass sie ihre Kinder die ganze Woche in ein Konfuzius-Internat schicken, weit außerhalb am nordwestlichen Stadtrand von Peking. Die Fahrt führt vorbei an gläsernen Wolkenkratzern und am Olympiastadion, das wie ein Vogelnest aussieht und daher auch seinen Namen trägt. Je weiter man sich vom Zentrum entfernt, desto kleiner werden die Häuser und desto mehr häufen sich die Fahrräder.
In die Vier-Meeres-Schule gelangt man durch eine Metalltür und über einen grünen Innenhof. 300 solcher Konfuzius-Schulen wurden in den letzten Jahren in China gegründet.
Zu dieser Schule gehört auch ein Kindergarten. Der Unterschied zu einer Kita in Deutschland könnte größer nicht sein. Mit ihren Fingern fahren die Dreijährigen über die Schriftzeichen, die der Lehrer vorsagt, und sprechen im Chor nach: »Selbst mit Fürsten können die Yi und Ti nicht mit den Xia ohne Fürsten verglichen werden.« Auf diese Weise lernen sie einen Satz des Konfuzius auswendig, der in einer deutschen Übersetzung so interpretiert wird: »Wenn auch die Barbaren Herrscher haben – sie sind selbst dann nicht unserem großen Reich vergleichbar, wenn es ohne Herrscher ist.« Doch
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