Mit Konfuzius zur Weltmacht
gerade den letzten Schrei: Heintje singt »Einmal wird die Sonne wieder scheinen«. »Ich stehe ja mehr auf chinesischen Rap«, spottet Yuchen später. Eingeschüchtert wirken die Schüler nicht. Der kleine Guyu interpretiert vor der Klasse die chinesische Übersetzung des Heintje-Songs eigenwillig: »Das ist über einen Jungen, der unglücklich ist wegen der vielen Hausaufgaben.«
Die können die chinesischen Kinder zum Teil in der Schule machen, aber die Zeitbelastung ist groß: Der Unterricht dauert von 8 Uhr bis 15:15 Uhr. Zu den auch in Deutschland üblichen Hauptfächern wie eigene Muttersprache, Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften kommen Stunden für »Moral und Soziales«, »Gesundheitserziehung und Etikette«, »Aktivität der Jungen Pioniere«, außerdem müssen sich alle das Schulradio anhören, das zu fleißigem Lernen und Ordnung ermahnt. Es sind Maßnahmen, die sich aus Chinas konfuzianischer wie kommunistischer Tradition gleichermaßen erklären. Dann folgt für Yuchen der Hort bis 18 Uhr, da, wie in China üblich, beide Eltern arbeiten.
Das Erholsamste am Samstag ist der Taekwondo-Kampfsport. Daneben lernt Yuchen am Wochenende vier Stunden für Magische Mathematik, einen Fernkurs, und anderthalb Stunden Guzheng, ein traditionelles chinesisches Zitherinstrument mit 21 Saiten. Am Sonntag besucht sie noch einen viereinhalbstündigen Englischkurs, zusätzlich zu den fünf Stunden Englisch, die sie bereits in der Schule hat. Ein Drittel der Familienausgaben fließt in die Ausbildung der Tochter. Findet Yuchen das alles toll? »Die viele Lernerei hängt mir zum Hals raus«, sagt sie in ihrem winzigen Zimmer, das von Bett und Schreibtisch mit Computer ausgefüllt wird. »Wir wollen ihr eine freie Umgebung schaffen«, meint Vater Du Jie. »Aber wir haben keine Wahl. In unserem Erziehungssystem ist alles an Prüfungen ausgerichtet. Wenn sie da nicht außerhalb der Schule noch lernt, hat sie keine guten Berufsaussichten.«
Yuchen interessiert sich seit ihrem vierten Lebensjahr für Tiere und möchte Biologin werden. In ihrem Aquarium schwimmen 30 tropische Fische. Außerdem zwitschern in der Wohnung sieben Vögel, darunter ein rabenschwarzer Beo, eine in Asien verbreitete Art. Er kann auch sprechen, ni hao , »guten Tag«, fast akzentfrei – in China lernen eben alle.
Im Westen ins Gerede kam die chinesisch-konfuzianische Erziehungstradition durch den Bestseller von Amy Chua, einer Professorin an der Yale Law School in New Haven, Connecticut. Sie selbst ist im Bundesstaat Illinois geboren, aber ihre chinesischen Eltern wanderten von den Philippinen in die USA ein. In ihrem Buch Die Mutter des Erfolgs erzählt sie, wie sie, so der Untertitel, ihren »Kindern das Siegen beibrachte« – wobei das, wie sie selbstironisch schildert, nur bei einer der beiden Töchter in vollem Umfang gelang.
Amy Chua, die sich selbst als »Tigermutter« bezeichnet, schreibt: »Im Unterschied zur typisch westlichen Hausfrau-und-Mutter im Dauereinsatz für die Kinder ist die chinesische Mutter überzeugt, dass
1. Hausaufgaben grundsätzlich an erster Stelle stehen,
2. ein A minus eine schlechte Note ist,
3. ihre Kinder in Mathe den Mitschülern immer um zwei Jahre voraus sein müssen,
4. man die Kinder nie öffentlich loben darf,
5. man im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem eigenen Kind und einem Lehrer oder Trainer immer die Partei des Lehrers oder Trainers ergreifen muss,
6. die einzigen Freizeitbeschäftigungen, die man den Kindern erlauben sollte, solche sind, die ihnen am Ende eine Medaille eintragen, und
7. diese Medaille aus Gold sein muss.«
Um ihr Erziehungsziel zu erreichen, drohte Amy Chua ihrer Tochter Sophia beim Klavierspiel gelegentlich: Wenn sie das Stück bis zum nächsten Mal nicht perfekt beherrsche, werde sie ihr sämtliche Stofftiere wegnehmen und diese verbrennen. Mit scharfer Ironie weist die Tigermutter Kritik zurück, sie respektiere ihre Töchter zu wenig: »Als ich sah, wie amerikanische Eltern ihre Kinder für die geringste Leistung – für einen hingekritzelten Schnörkel, ein Wedeln mit einem Stock – mit Lob überschütteten, wurde mir klar, dass chinesische den westlichen Eltern zweierlei voraushaben:
1. höherfliegende Träume für ihre Kinder und
2. mehr Achtung vor ihren Kindern insofern, als sie wissen, wie viel sie ihnen zutrauen können.«
Kinder sollen vor allem Spaß haben, wird ihr entgegengehalten, worauf sie antwortet: »Spaß macht gar nichts,
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