Mit Konfuzius zur Weltmacht
ein, besonders brutal mit dem Beginn der Kulturrevolution 1966. Angeblichen Anhängern der alten Kultur wurden sogenannte Schandhüte aus Papier über den Kopf gestülpt. Der Mob jagte Intellektuelle durch die Straßen, lynchte sie häufig. Die Kampagnen wurden immer absurder. So griff Mao seinen früheren Stellvertreter Lin Biao an, der bei der Flucht in die Sowjetunion mit dem Flugzeug über der mongolischen Wüste abgestürzt war. 1974 hieß es im ganzen Land: »Kritisiert Konfuzius und Lin Biao«.
»Die Kulturrevolution hat sich damals zum Ziel gesetzt, all die bösen alten Werte zu zerstören«, erklärt Sinologe Tilman Spengler. »Und da stand der Konfuzianismus trotz 40-jähriger sozialistischer Diktatur an alleroberster Stelle. Unendlich viele der Konfuzius-Tempel wurden zerstört. Es war eine Planerfüllung bester sozialistischer Art, zwischen 19 und 25 Prozent sollten vernichtet werden. Die Rotgardisten verarbeiteten Statuen zu Brennholz. Konfuzius war genau das Böse, von dem sie die Gesellschaft befreien wollten.«
Noch heute sind die Folgen in Konfuzius’ Heimatstadt Qufu deutlich erkennbar, besonders im »Wald der Kongs«. So heißt der Friedhof, auf dem nur leibliche Nachfahren des Konfuzius begraben werden. Er ist doppelt so groß wie die Stadt, zu der er gehört – 100 000 Bäume erheben sich über 100 000 Gräbern. Drei Dutzend Frauen und Männer tragen weiße Kapuzen oder weiße Mützen, Weiß ist in China die Farbe der Trauer. Sie fahren in einem offenen Elektrobus zu einer Beerdigung. Jetzt dürfen die Kongs ihre Angehörigen wieder friedlich bestatten. Durch das Steintor strömen heute auch Touristen, angeführt von Reiseführerinnen mit Fähnchen und Lautsprecheranlage. Die Besucher kommen vom chinesischen Festland ebenso wie aus Hongkong und Taiwan. Sie berühren mit ihren Händen ein Nashorn aus Bronze, hoffen, dass das Glück bringt, und fotografieren sich dabei gegenseitig.
Mao wollte das Andenken an Konfuzius ausradieren, es durfte keinen anderen Gott geben neben ihm selbst. 200 Studenten und Dozenten ausgerechnet derjenigen Pekinger Universität, an der heute Konfuzius-TV-Star Yu Dan lehrt, erhielten 1966 einen revolutionären Auftrag: Mao schüttelte die Hand von Tan Houlan, der Anführerin dieses Kommandos. Die Rotgardisten setzten sich in einen Zug und fuhren nach Qufu, es dauerte zehn Stunden, bis sie ankamen. Wie ihnen von Mao aufgetragen, öffneten sie das Grab des Konfuzius, fanden jedoch keine Gebeine mehr. Heute falten vor dem etwa fünf Meter hohen Grabstein die Menschen wieder ehrerbietig ihre Hände und fallen auf die Knie.
Die enttäuschten Rotgardisten kamen damals auf eine andere und irrwitzige Idee, ganz wie von Konfuzius vorausgesagt: »Lernen ohne zu denken – das ist nutzlos. Denken, ohne etwas gelernt zu haben – das ist verderblich.« Wei Jing, Mitarbeiterin des Denkmalschutzamtes von Qufu, zeigt die Folgen dessen, was die ungebetenen Besucher aus Peking taten: In einer posthumen Sippenhaft schändeten sie 2000 der letzten Ruhestätten von Nachfahren des Philosophen. Noch heute künden gespaltene Grabsteine und abgebrochene Ecken von ihrem Treiben während der Kulturrevolution. »Jetzt erinnern wir uns an diese unaussprechliche Geschichte«, sagt Denkmalschützerin Wei. »Doch viele Menschen wollen diese Periode in unserem Land noch heute nicht anrühren. Denn damals wurden nicht nur Kulturschätze zerstört. Es wurde auch zum Hass gegen den Konfuzianismus aufgerufen. Doch jetzt hat der Regen aufgehört, und der Himmel ist klar. Die ganze Welt billigt jetzt die Ideen des Konfuzius, entwickelt sie weiter und entfaltet sie. Bei uns in Qufu lesen jetzt sogar schon die Kinder Werke des Konfuzius und lernen sie auswendig.«
In der Kleinstadt Qufu zerrissen die Rotgardisten 929 historische Gemälde und verbrannten 2700 antike Bücher, stürzten im Tempel des Konfuzius seine Statue zu Boden, banden ihr einen Strick um den Hals und zogen sie johlend durch die Straßen.
Schlimmer noch wüteten die Rotgardisten gegen die Menschen. Langsam bewegt Kong Jihuan seine Hände und Füße vor einem einstöckigen Betonbau, auf den Jugendliche von heute ihre Handynummern gekritzelt haben. Mit Qigong, dieser traditionellen Mischung aus Meditation und Bewegung, möchte der 81-Jährige die Erinnerungen verdrängen, die ihn nicht schlafen lassen. »Ich weiß nicht, wie ich das überlebt habe«, sagt er. »Sie haben auf mich eingeschlagen, mit Händen und mit Brettern, mit Stangen
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