Mit Konfuzius zur Weltmacht
den Kleinen wird nichts ausgelegt oder erklärt − und schon klingt aus den zwölf Kinderkehlen sofort der nächste Satz des Philosophen, der von einer Tuschzeichnung auf sie herabblickt.
Draußen steht verwaist ein Trampolin. Vier Stunden am Tag büffeln die Kindergartenkinder die »Geordneten Worte« des Konfuzius. Das ist, als müssten ihre deutschen Altersgenossen die Bibel auswendig lernen – allerdings auf Latein. Denn die Sprache von damals ist selbst für erwachsene Chinesen kaum zu verstehen, zumal die Schriftzeichen oft mehrere und symbolische Bedeutungen haben. Es geht hier weniger um die Inhalte, eingeübt werden Disziplin und Gehorsam. Wenn die Kinder das Buch mit den Gesprächen des Konfuzius zu Beginn der Unterrichtsstunde überreicht bekommen, verbeugen sie sich vor dem Lehrer.
Geführt wird dieses Internat von seinem Gründer Feng Zhe. Er trägt eine traditionelle chinesische Jacke, ganz in Schwarz, mit ringförmigem Kragen. Wäre der Kragen weiß, könnte man ihn für einen christlichen Priester halten. Er studierte ursprünglich »westliche Wirtschaft«, wie er sagt. Mit der Konfuzius-Schule aber habe er seine eigentliche Mission gefunden: »Ich hoffe auf ein stürmisches Fortschreiten in Zukunft. In zehn Jahren wird es 10 000 solche Schulen geben. In 20 Jahren eine Million. Das ist der Wille der ganzen chinesischen Nation, die gerade wiedererwacht. Unser Volk gewinnt sein Selbstvertrauen zurück und besinnt sich auf seine ursprüngliche kraftvolle Idee. China muss diesen Weg gehen.«
Vor dem gemeinsamen Mittagessen legen die Kinder ihre Hand aufs Herz wie ein amerikanischer Präsident bei der Nationalhymne. Sie rufen im Sprechchor: »Danke Himmel und Erde, die mir den Lebensraum schenken. Danke dem Lehrer, der mich zur Weisheit inspiriert. Danke den Mitschülern, die mich beim gesunden Wachstum begleiten.« Dann schaufeln die Kleinen mit ihren Stäbchen Reis und Gemüse aus einer Holzschale in sich hinein. Der Besuch von ausländischen Reportern zerstört die von Konfuzius gewollte Ordnung, denn eigentlich ist es den Kindern verboten, beim Essen zu sprechen.
Wissen sie, wer Konfuzius ist? »Weiß ich«, sagt die vierjährige Yuhan. »Der da!« Sie zeigt auf die Tuschzeichnung des Meisters, denn auch über dem Mittagstisch hängt eine. Was war das für ein Mensch? »Konfuzius ist unser Großvater. Den muss man studieren.« Was studieren? »Seine Vorgaben, wie man ein gutes Kind wird.«
Weil in China der Sozialismus so schnell zum Kapitalismus wurde, geht es manchen nur noch ums Geld. Viele Mütter und Väter wünschen sich aber, dass ihre Kinder andere Werte lernen. Zwischen den Bäumen und Sträuchern des Schulhofs sammeln sie sich zu einem Elternabend.
»Wie soll ich sagen«, zögert die Mutter Li Na, Mitarbeiterin einer Versicherung, bei der Frage, warum sie ihren zehnjährigen Sohn auf das Internat schickt, »diese Schule gibt den Kindern eine gute moralische Erziehung.« Die Zeitschriftenredakteurin Chen Yingwei ist extra innerhalb Pekings umgezogen, um näher am Internat zu wohnen, das ihre sechsjährige Tochter besucht. Die Mutter meint: »Die Lehrer aus der Zeit des Konfuzius sind mit denen heute nicht vergleichbar. Die damals hatten ein höheres geistiges Niveau.« Dabei befand Konfuzius schon in seiner Zeit, das Niveau falle. »Früher studierten die Gelehrten, um klug zu werden« , sagte er. »Heute studieren sie, um andere zu beeindrucken.« Carry Chen, eine andere Mutter hier, arbeitet im Reise-Business. »Uns gefällt die traditionelle Kultur«, erklärt sie. »Unser Sohn ist in den USA geboren. Jetzt sollte er die chinesische Kultur kennenlernen.«
Beim Elternabend sitzen die Erwachsenen im Gegensatz zu ihren Kindern locker um den Tisch und trinken Tee. Sie alle sind wohlhabend und gebildet. Im Gespräch wird deutlich: Ihnen passen die staatlichen Schulen nicht. Im boomenden China herrsche eine geistige Leere. »Nach über 30 Jahren Wirtschaftsreformen haben unzählige Chinesen mehr und mehr Geld in der Tasche, aber die Seelen sind leer«, führt Schul-direktor Feng Zhe aus. »Das muss sich dringend ändern. Deshalb fördert die Regierung die traditionelle Kultur und das Studium der Lehren von Konfuzius.«
Konfuzius-Schulen wie diese sind noch die Ausnahme. Doch der Meister wirkt weiter: Überall in China werden Lernen und Bildung hoch geschätzt. An den meisten chinesischen Bildungseinrichtungen herrscht konfuzianische Disziplin.
Yuchen ist neun Jahre alt, besucht die
Weitere Kostenlose Bücher