Mit Konfuzius zur Weltmacht
zukünftig eine militärische Bedrohung für andere dar? »Was wird Chinas Entwicklung für den Rest der Welt bringen?«, fragt denn auch Chinas Staatsrat im September 2011 – und antwortet sich selbst und vor allem dem besorgten Ausland in einem 32-seitigen Weißbuch. Sein Titel verrät die Tendenz: »Chinas friedliche Entwicklung«. Ein Kernsatz lautet: »Das zentrale Ziel von Chinas Diplomatie ist, eine friedliche und stabile internationale Umgebung für seine Entwicklung zu schaffen. China strebt danach, seinen gebührenden Beitrag zu Weltfrieden und -entwicklung zu leisten. Es wird niemals Urheber von Aggression oder Expansion sein, niemals nach Vorherrschaft suchen. China bleibt eine entschiedene Kraft für den Erhalt von Frieden und Stabilität in der Welt.«
Das offizielle chinesische Papier ist gespickt mit Konfuzius-Sprüchen. »Was du selbst nicht wünschst, das tue auch anderen nicht an« , wird der Philosoph darin zitiert, dieser Grundsatz müsse auch in den internationalen Beziehungen gelten. »Seit dem Altertum hielt die chinesische Kultur die Welt für eine harmonische«, erklärt der Staatsrat. »Diese Überzeugung hat einen bleibenden Einfluss auf das Denken und Handeln der chinesischen Nation. Die Harmonie ist ein wichtiger Wert, dem die Chinesen in persönlichen Beziehungen folgen, in Beziehungen zwischen Mensch und Natur und in Beziehungen zwischen verschiedenen Ländern.« Anspielend auf die Versuche der USA, ihr Modell von Demokratie weltweit zu verbreiten, zitiert das Weißbuch ein weiteres Mal Konfuzius: »Der Edle strebt nach Harmonie nicht auf Kosten der Vielfalt. Nur der niedere Mensch versteht Harmonie als Uniformität.«
David Li ist Direktor des Zentrums für China in der Weltwirtschaft an der renommierten Pekinger Tsinghua-Universität. Als Abgeordneter im Nationalen Volkskongress unterstützt er die Politik seiner Regierung. Doch er hat in Harvard promoviert und ist mit den Positionen des Westens gut vertraut. Auch er sagte: »Auf keinen Fall möchte China die Welt beherrschen. Es gibt nur ein beherrschendes Land auf der Welt: Das sind die USA. Es ist nicht der Traum, nicht der Anspruch Chinas und entspricht auch nicht seinem Leistungsvermögen, dem Erfolg der USA mit ihrer internationalen Vorherrschaft nachzueifern. Es liegt einfach nicht in den Genen unserer konfuzianischen Tradition.«
Li sprach im Juni 2011 bei der Munk-Debatte im kanadischen Toronto zum Thema »Gehört das 21. Jahrhundert China?«, an der auch der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger teilnahm. Li beantwortete die Frage mit Ja, versuchte aber, Ängste zu zerstreuen: »Vergessen Sie die letzten 500 Jahre westlicher Philosophie, westlicher Perspektive. Hören Sie auf, internationale Beziehungen mit den Begriffen ›Gewinner‹ und ›Verlierer‹ zu betrachten. Schauen Sie stattdessen durch die Linse der traditionellen chinesischen Philosophen, der Konfuzianer. Die Konfuzianer treten für eine harmonische Welt ein, in der die Einzelnen im Frieden mit der Außenwelt und miteinander leben und in der Länder gemeinsam daran arbeiten, internationale Konflikte zu lösen. Ich bitte Sie dringend, diese Perspektive zu bedenken, um die laufenden Veränderungen in der chinesischen Wirtschaft und Gesellschaft zu verstehen.« Und: »Chinas Traum war es nie, eine Dominanz in der Welt zu suchen wie die USA. Uns geht es vielmehr darum, wieder aufzuerstehen – wieder den Respekt, das Ansehen und die mit sich selbst zufriedene Natur der alten chinesischen Zivilisation zu erlangen, wie wir sie zum Beispiel während der Tang-Dynastie (618 – 907) hatten.«
Seinem eigenen Selbstverständnis nach ist China also eine friedliche Macht, die nach Harmonie in der Welt strebt. In Deutschland sehen das viele ganz anders – und verweisen dabei etwa auf die angebliche chinesische Besetzung Tibets. Die Fürsorge der Germanen für das ferne Bergvolk ging sogar so weit, dass einige deutsche Kleinstädte vor den Olympischen Spielen in Peking 2008 ihre Rathäuser mit Fahnen der Exiltibeter beflaggten. Die chinesische Bevölkerung wiederum, nicht nur ihre Regierung, sieht Tibet als Teil Chinas von alters her und empört sich über die ihrer Meinung nach unverschämte Einmischung in Chinas innere Angelegenheiten. Beide Seiten berufen sich auf historische Fakten – und legen sie in ihrem Sinn aus. 1240 eroberten die Mongolen unter Güyük Khan, einem Enkel Dschingis Khans, das »Dach der Welt«, wie Tibet aufgrund seiner Höhe von
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