Mit Konfuzius zur Weltmacht
konnte. Er klagte: »Chen Shui-bian nutzt das Geld, das wir mit Blut und Schweiß erarbeitet haben, um kleine Länder zu beschenken, damit sie die Unabhängigkeit Taiwans unterstützen.«
Taiwan wird nur noch von 24 Staaten diplomatisch anerkannt, von denen Haiti und Vatikanstadt noch die bekanntesten sind. Nicht nur Alte und Ewiggestrige stehen hinter der Guomindang. Ausgerechnet die Kapitalisten wollen gute Beziehungen zum kommunistisch regierten China. Dort stehen die Fabriken der taiwanesischen Unternehmen – mehr als 200 Milliarden US-Dollar haben sie dort investiert. Fast die Hälfte der Exporte Taiwans geht auf das chinesische Festland. Davon profitieren nicht nur die Unternehmer, sondern auch die Arbeiter und Angestellten dieser Firmen. Auch Taiwans Popstars und Schlagersänger treten vor allem in der Volksrepublik auf, dem riesigen chinesischsprachigen Festland.
Ximending, die In-Zone der Hauptstadt Taipeh: Girls tragen Hotpants und hohe Stiefel. In den Restaurants isst man Sushi oder japanisches Grillfleisch. Die Läden verkaufen Süßigkeiten in Kondomform und Kugelschreiber, aus denen das Stöhnen und Schreien einer Frau beim Orgasmus klingt. In der Fußgängerzone singen Musiker aus Bolivien, allein dagegen würde in der Volksrepublik schon die Polizei einschreiten. Doch die freiheitsliebenden Jugendlichen sind eher unpolitisch. Viele hatten sich noch nicht festgelegt für die Wahlen. Andere hielten den China-freundlichen Kandidaten Ma für einen Gentleman, Chen Shui-bian hingegen für einen Bauern. Mit ihrer Freundin flanierte die 24-jährige Büroangestellte Heidi Wu, die auch Deutsch spricht, und meinte: »Ich schere mich nicht um die Wahlen – und auch nicht um die Unabhängigkeit. Hauptsache, die Wirtschaft brummt!«
Der China-freundliche Ma Ying-jeou gewann die Wahlen 2008 mit 58 Prozent der Stimmen. Sein Vorgänger Chen Shui-bian sitzt mittlerweile wegen Korruption und Geldwäsche im Gefängnis. Die Vorwürfe gegen ihn werden auch von vielen seiner ehemaligen Mitstreiter erhoben. Aus seiner eigenen Partei trat er aus, um einem Ausschluss zuvorzukommen. Nirgendwo im chinesischen Raum geht es so rechtsstaatlich zu wie in Taiwan.
2005 hatte der chinesische Volkskongress noch ein »Antisezessionsgesetz« verabschiedet, das Taiwan mit Krieg drohte, falls es sich offiziell für unabhängig erklärt. Davon spricht im Moment keiner mehr. Stattdessen wurden 2008 mit Trommeln und Drachentänzen direkte Flugverbindungen zwischen Peking und Taipeh eingeweiht – bis dahin hatten Reisende vom einen in den anderen Teil Chinas den Umweg über Hongkong oder Japan nehmen müssen. Doch weiterhin zielen 1000 Raketen der Volksrepublik auf die »Brüder und Schwestern« für den Fall, dass sie doch ungehorsam sein sollten. Ein Konflikt könnte die ganze Welt in Brand setzen. Denn die USA liefern Flugabwehrraketen und Militärhubschrauber an die Insel und haben sich 1979 im Taiwan Relations Act gesetzlich dazu verpflichtet, Taiwan bei einem Angriff beizustehen.
Wie verträgt sich das Säbelrasseln mit dem Wunsch nach einer harmonischen Welt im Sinne von Konfuzius? Aus Sicht der chinesischen Führung besteht hier kein Widerspruch. Sie bedrohe andere nicht, mische sich nicht wie die USA in fernen Ländern wie Irak und Afghanistan ein, sondern wolle ausschließlich die Einheit Chinas erhalten und seine Grenzen sichern. Aber die Grenzen aus welchem Jahrhundert? Das ist ein weites Feld, denn wie in Europa haben sich auch in Asien die Grenzen oft geändert. Während Chinas hohe Politiker meist gemäßigte Töne anschlagen, polterte General Liu Yuan, Politkommissar der Logistiktruppen, im Jahr 2011: »Wo würde die große Einheit ohne Krieg herkommen? Wie kann die Fusion der Nation, der Rasse, der Kultur, des Südens und des Nordens ohne Gewalt erreicht werden?«
Im August 2011 stach der erste Flugzeugträger der Volksrepublik in See, die USA aber haben elf davon. Der Militäretat Chinas wächst schnell. 2011 stieg er um 17 Prozent auf umgerechnet 91,5 Milliarden US-Dollar. Westliche Experten vermuten sogar doppelt so hohe Rüstungsausgaben, vieles sei in anderen Posten des Staatshaushalts versteckt. Doch selbst wenn diese Einschätzung zutrifft, sind die Aufwendungen im Vergleich zum Rüstungsetat der USA von fast 700 Milliarden Dollar im selben Jahr wenig.
Den Westen bedroht die Volksbefreiungsarmee also tatsächlich nicht. Das sollte aber nicht dazu verleiten, den zukünftigen Einfluss Chinas zu unterschätzen.
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