Mit Konfuzius zur Weltmacht
sieben Uhr morgens, die Rollläden vor den meisten Geschäften sind noch heruntergelassen, obwohl in China lange Öffnungszeiten gelten. Auf der Straße überfahren Autos die durchgezogene gelbe Linie. Wie in China üblich, mieten wir einen Wagen mit Fahrer, der uns zum 40 Kilometer entfernten Staudamm bringt. Je näher wir ihm kommen, desto leerer die Straßen – und desto blanker blitzen sie. Alle paar Hundert Meter kehrt ein Straßenfeger den Gehweg. An einer Ampel klopft eine junge Frau an die Fenster unseres Kleinbusses und ruft: »Wollen Sie den Staudamm besichtigen? Ich zeige Ihnen Schleichwege, wie Sie kostenlos reinkommen.« Anwohner bieten sich als private Reiseführer an, gegen Trinkgeld.
Es geht auch ohne ihre Hilfe. Zwar gehört der Damm zu den bestgesicherten Orten Chinas, und es stehen Soldaten der Volksbefreiungsarmee in Wachhäuschen aus Beton, doch die salutieren nur, als wir vorbeifahren. Wir haben das Kennzeichen unseres Wagens vorher durchgegeben. Der Dreischluchtendamm ist ein Prestigeobjekt, das man gern vorzeigt, Touristen ebenso wie Journalisten: Kein anderes Kraftwerk erzeugt so viel Strom. Die Achse des Dreischluchtendamms erstreckt sich über 2,3 Kilometer. 28 Millionen Kubikmeter Beton wurden verbaut. Das Wasser staut sich in einem künstlichen Becken von der doppelten Größe des Bodensees. Nur der Blick aus einem Hubschrauber oder Flugzeug bietet die Chance, das Mega-Wasserkraftwerk in seiner Gesamtheit zu sehen.
Zur Veranschaulichung hat die Staudammverwaltung in ihren Besucherräumen ein Modell mit hellblauem Wasser, Bergen, Staumauern und vielen Lichtern aufgebaut – selbst das ist so groß wie eine Theaterbühne. Yan Junyi, leitender Ingenieur des Dreischluchtendamms, zeigt es voller Stolz. »Der Dreischluchtendamm ist ein alter Traum des chinesischen Volkes«, sagt er. »Schon als der letzte Kaiser gestürzt und die Republik ausgerufen wurde, galt der Bau eines solchen Damms als Schlüssel zur Industrialisierung. Nach der demokratischen Revolution 1911 erklärte der erste Präsident der Republik, Sun Yat-sen, den Damm zur nationalen Aufgabe. Er sollte es ermöglichen, Strom zu erzeugen, den Bootsverkehr zu erleichtern und die Wirtschaft zu entwickeln.« In seinem Programm für die Industrialisierung Chinas skizzierte Sun Yat-sen den Plan für einen Dreischluchtendamm. Damals scheiterte das Vorhaben am frühen Tod des Präsidenten 1925 und an den Wirren des Bürgerkriegs.
Nach Gründung der Volksrepublik China erinnerte sich Mao an diesen Plan. 1956 fuhr er über den Jangtse, um sich vor Ort ein Bild zu machen. In einem Gedicht pries er das zukünftige »Wunder von Menschenhand«. Ein Dreischluchtendamm war ihm nicht genug, er wollte gleich den Fluss von Süden nach Norden umleiten, doch scheiterten diese Visionen an der kommunistischen Misswirtschaft. Erst ab 1978, nach den Reformen und der Öffnung des Landes, konnte sich China ernsthaft mit dem Jahrhundertwerk beschäftigen. Landvermesser durchforsteten das Flussgebiet, Geologen suchten nach geeigneten Stellen für einen Staudamm.
1993 begannen die Bauarbeiten, flankiert von Propaganda. Ein Film zeigt Funktionäre mit Schutzhelmen, die in die Luft schießen. Bagger versetzen Berge. Arbeiter schwenken rote Fahnen. Premierminister Li Peng, der das Projekt vorantrieb, erhält frenetischen Beifall. Im Kommentar dazu sagt eine Sprecherin, voller Pathos in der Stimme: »Mit diesem extrem komplizierten Unterfangen hat die dritte Generation von Führern der Kommunistischen Partei eine große Prüfung bestanden und die historische Mission des chinesischen Volkes vollstreckt. Am 8. November 1997 wurde der Jangtse mit Erfolg gestoppt.« Ein Projekt von unvorstellbaren Dimensionen. Arbeiter sprengten Felsen und kippten Steine ins Wasser, wodurch sie den Jangtse umleiteten und einen 3,7 Kilometer langen Kanal schufen. Wo bisher das Wasser floss, konnte jetzt der Damm gebaut werden.
In einem idyllischen Park am Damm, im Teich schwimmen Goldfische, werden heute die Felsbrocken von damals zur Schau gestellt. »Diese Steine haben die Form von Pyramiden«, erklärt dort Yuan Lei, Mitarbeiter im Informationszentrum des Dreischluchtendamms. »Sie stoppten 1997 den Strom des Wassers. Nirgendwo sonst ist das jemals bei einem so tiefen Fluss gelungen.« Nebenan verherrlichen Skulpturen aus Bronze die »Helden der Arbeit«. Ihre Gesichter blicken entschlossen, sie tragen Helme auf dem Kopf und halten Hämmer in der Hand. 18 000 Menschen wirkten
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