Mit Konfuzius zur Weltmacht
zur Weltkultur-Persönlichkeit. Doch schützte das den Schrein nicht. Ob geschwungene Dächer, hölzerne Säulen oder bronzene Bottiche – fast alles, was man hier heute eine Stunde vom Staudamm entfernt ansehen kann, sind Nachbauten. Die meisten Originale gingen beim Umzug des Schreins zu Bruch. Die Reiseführerin Zheng Xiaodou, die wie eine Schülerin vor der Mittleren Reife aussieht, berichtet über die Reise der Reliquien: »Dies ist schon der dritte Ort für den Schrein. Seit den Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung stand er in der alten Stadt Guizhou. Im Juli 1976 wurde er aufgrund der Gezhouba-Talsperre verlegt. Wegen des Dreischluchtendamms kam er im Juni 2006 hierher.«
Trotz des aktuellen Comeback des Konfuzius: Im heutigen China gilt häufig noch das Alte weniger als das Neue. Ob Kulturdenkmäler Kopie oder Original sind, war hier lange gleichgültig. Doch immer mehr Chinesen setzen sich für Kulturschätze und vor allem für den Umweltschutz ein. Der Campus der Chongqing-Universität ist wie viele Universitäten in China ein in sich geschlossener Park. Hier hat die Grüne Freiwillige Liga ihr Büro. Der pensionierte Professor Wu Dengming ist ihr Präsident. An den Wänden seines ansonsten tristen Büros hängen Kalligrafien, auf seinem Schreibtisch stapeln sich Unterlagen. Der kahlköpfige Mann ist gesprächig und freut sich über kritische Fragen. »Ich war von Anfang an gegen den Dreischluchtendamm«, sagt er. »Warum ich ihn ablehne? Der Hauptgrund ist: Wir wissen noch zu wenig über den Jangtse und die Auswirkungen dieses Staudamms. Es ist völlig unabsehbar, welche Folgen dieser große Eingriff in die Natur für die Umwelt haben wird.«
Schon vor der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima warnten Skeptiker, Erdbeben oder Krieg könnten im Dammgebiet zur Katastrophe führen. Vor der Südwest-Universität, einer anderen Hochschule in Chongqing, thront Mao hochwassergeschützt auf einem Sockel. Hier unterrichtet Professor Lan Yong am Institut für Historische Geografie. Er berät die Regierung, wirkt aber locker und offen für den Disput, anders als viele sture chinesische Beamte. »Alle großen Bauwerke sind in einem Kriegsfall gefährdet«, meint er. »Das gilt nicht nur für den Dreischluchtendamm. Fabriken, Hochhäuser, Brücken – alle sind bedroht. Beim Bau des Dreischluchtendamms wurde berücksichtigt, wie er alle möglichen Situationen aushalten kann, sogar einen Atomkrieg.«
Doch selbst unter den handverlesenen Delegierten im Volkskongress, dem chinesischen Scheinparlament, erkannten viele die Gefahren. Der Gesetzesvorlage für den Damm stimmten 1992 nur zwei Drittel der Abgeordneten zu – ein absoluter Negativrekord. Normalerweise fallen die Entscheidungen nahezu einstimmig aus. Regierungsberater Lan Yong, der den Staudamm befürwortet, sieht in den Gegenstimmen trotzdem auch etwas Positives: »Beim Dreischluchtendamm und anderen Projekten werden jetzt Einwände geäußert. Das ist gut, es zeigt, dass China demokratischer ist als früher. Vor 30 Jahren wäre es unmöglich gewesen, gegen so ein Bauwerk zu sein. Nun sind viele dagegen. Wir gehen Schritt für Schritt zur Demokratie.«
Umweltschützer Wu Dengming sieht das noch nicht so rosig. Auf die Frage, ob man sich jetzt in den chinesischen Medien kritisch zum Dreischluchtendamm äußern könne, antwortet er: »Natürlich nicht. Ich bestehe auf meinem Standpunkt. Aber deshalb wurden sogar Familienangehörige von mir bedroht.«
Weiter geht unsere Reise auf dem Jangtse mit dem Verkehrsmittel, mit dem sich Menschen in der Drei-Schluchten-Gegend seit Jahrtausenden bewegen: dem Boot. Für den ersten Teil der Strecke nehmen wir ein Schnellboot. Die Anwohner nutzen diese wie Überlandbusse. Sie sehen fast wie U-Boote aus, Dach und Fenster sind geschlossen. Urlaubsfotos kann man aus ihnen heraus nicht knipsen, dafür fahren sie schneller als die touristischen Schiffe. Die meisten Passagiere sind geschäftlich unterwegs, nehmen das Boot mindestens einmal im Monat. Auf dem Bordmonitor quäkt ein Schaf aus einem beliebten chinesischen Kindercomic. Draußen zieht eine der schönsten Landschaften der Erde vorbei: Felsschluchten inmitten hoher Berge – die jetzt etwas kleiner geworden sind. Denn der Damm hat den Wasserspiegel des Jangtse um 70 bis 100 Meter angehoben – und den Fluss um 100 Meter verbreitert. Dem Kapitän des Boots, er heißt Jia Zhong, erleichtert das die Arbeit. »Der Jangtse ist jetzt tiefer und breiter«, stellt er fest.
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