Mit Konfuzius zur Weltmacht
am Bau mit, viele von ihnen kamen dabei ums Leben, es gab zahlreiche Unfälle. Die Zahl der Toten bleibt bis heute ein Staatsgeheimnis.
»Wir Chinesen haben dieses Werk, das alles Vergleichbare in der Welt übertrifft, durch eigene Anstrengungen erreicht«, sagt Yan Junyi, der leitende Ingenieur. »Das hat unserem Volk viel Selbstvertrauen gegeben. Nach dem Dreischluchtendamm gelangen uns deshalb weitere große Projekte. Wir bewahren uns diesen Geist.« Die 150 Meter hohe Mauer wirkt wie endlos, da Teile davon im Nebel verschwinden, der oft über dem Staudamm schwebt. Steil nach unten kann nur blicken, wer frei von Schwindel ist. Dort sieht man das Wasserkraftwerk mit seinen 32 Turbinengeneratoren, von denen jeder eine Leistung von 700 Megawatt hat. Dazu gehören auch die sechs Einheiten im Untergrundkraftwerk am rechten Ufer. An der Stromstation sind außerdem zwei Generatoren mit je 50 Megawatt installiert. Die kombinierte Kapazität beträgt also 22 500 Megawatt – das Fünffache der Kapazität, die alle Reaktorblöcke im japanischen Fukushima vor der Atomkatastrophe gemeinsam hatten.
Die Hoch- und Tiefbauarbeiten wurden 2006 abgeschlossen, seit 2008 sind sämtliche Turbinen im Betrieb. Der Dreischluchtendamm ist fertig, was sich auf den ersten Blick nicht erkennen lässt. Hämmer schlagen, Schweißgeräte blitzen, Arbeiter balancieren auf Stangen aus Bambus und Stahl, Kräne schwenken dicht nebeneinander, es sieht aus, als stießen sie gleich zusammen. Das Riesenwerk wird ständig erneuert und erweitert, zurzeit um eine zusätzliche Schiffsschleuse. Sie soll Passagierschiffe in 40 Minuten durch den Damm schleusen. Bisher wurden dafür dreieinhalb Stunden gebraucht – in China muss alles immer schneller gehen.
An der steilen Mauer des Staudamms ziehen Seile einen Kasten aus Kunststoff hoch, in dem ein Anstreicher über dem Abgrund hangelt. Mit einem Farbroller überzieht er die Fassade des Damms mit frischem Grau. Eine Nation pflegt ihren größten Neubau, in seiner Bedeutung mit dem größten Altbau vergleichbar – der Chinesischen Mauer. Zwar gibt es höhere und längere Talsperren und größere Stauseen, aber kein anderes Wasserkraftwerk erzeugt so viel Strom wie dieses. Die Turbinen im Inneren sollen, wen wundert es, die größten der Erde sein. Sie sind made in China , wie auch die meisten Kontrollgeräte im Schaltraum. »Unser Dreischluchten-Kraftwerk ist darauf angelegt, bis zu 84,7 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr zu erzeugen«, erklärt Yan Junyi. »2010 kamen wir auf 84,2 Milliarden Kilowattstunden. Das ist ein Sechstel der Elektrizität, die im gleichen Jahr in Frankreich produziert wurde.«
Touristen steigen mit Regenschirmen aus Bussen, es hat angefangen zu nieseln. An mehreren Stellen des Dammgeländes wurden Aussichtsplattformen errichtet, auf denen Besucher aus ganz China das nationale Wunderwerk bestaunen. Ein Reisender, der ein bisschen wie Mao aussieht, aber eine Kaschmirjacke trägt, meint: »In mehrfacher Hinsicht sind wir die Ersten auf der Welt: Das Kraftwerk mit der größten Stromerzeugung«, er streckt den Daumen nach oben, »die beste Hochwasserregulierung«, wieder streckt er den Daumen nach oben. »Dieser Damm bringt die Wirtschaft mächtig voran und verbessert so das Leben der einfachen Menschen.« Der Daumen bleibt oben. Die Euphorie ist generationenübergreifend, wenigstens unter den Staudammtouristen. Eine fröhliche junge Frau mit langen Haaren schwärmt: »So großartig, so gut, so herrlich – wir Chinesen sind stolz darauf.«
Der Souvenirladen auf der Aussichtsplattform bietet nicht nur Plastikfiguren von Mao und Deng Xiaoping an, sondern, wie es sich gehört, auch das größte Buch zum Damm. In seiner Mitte lässt sich ein Foto der Drei-Schluchten-Gegend ausklappen, wozu die sechs Angestellten des Shops auch in Teamarbeit eine Minute brauchen, denn das Bild ist mehrere Meter lang. Was hat sich nach dem Bau des Damms verändert? »Das Wasser ist höher, vieles ist in den Fluten versunken«, meint ein junger Souvenirverkäufer.
Dem Wasser weichen musste auch der Schrein, der an Chinas ersten großen Dichter erinnert, von dem man heute weiß, an Qu Yuan. Er wurde 139 Jahre nach dem Tod von Konfuzius geboren, 340 vor Christus. Wegen erlittenen Unrechts soll er sich im Fluss Miluo ertränkt haben. Die Anwohner hätten vergeblich versucht, ihn mit ihren Drachenbooten zu retten – woran das Drachenbootfest in China jedes Jahr erinnert. Die UNESCO erklärte den Dichter
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