Mit Konfuzius zur Weltmacht
»Für die Schifffahrt bringt das große Vorteile.«
Jetzt können größere Schiffe den Jangtse passieren und Waren ins chinesische Hinterland bringen, was früher schwierig und damit teuer war. Unser Schnellboot überholt einen Frachter, auf dem sich Container der deutschen Reederei Hamburg Süd stapeln. Die Interessen der Wirtschaft und der Umweltschutz befinden sich hier einmal mehr in Konkurrenz miteinander, nicht anders als bei der Atomkraft und fast überall sonst, wo es um Energieerzeugung geht.
»Seit dem Bau des Dreischluchtendamms ist nie gründlich untersucht worden, wie sich der Damm auf den Fischbestand auswirkt«, kritisiert der grüne Aktivist Wu Dengming. Dammbefürworter Lan Yong entgegnet: »Es gibt seit dem Bau des Damms nicht weniger Fische, nur andere. Früher floss das Wasser im Jangtse sehr schnell, darin fühlten sich andere Fische wohler als in ruhigem Gewässer. Jetzt breiten sich Fische aus, die ruhiges Wasser lieben.«
Wie sich der Dreischluchtendamm auf die Umwelt auswirkt, ist umstritten. Die Befürworter sagen, sie wollten die Natur schützen – und vor allem die Menschen, die an den Ufern wohnen. Neben der Stromgewinnung war Hochwasserschutz ein entscheidender Grund für den Bau des Staudamms. »Wir haben den Dreischluchtendamm mit dem Ziel errichtet, den Abfluss von Wasser zu regulieren und damit Hochwasser zu verhindern«, erklärt Yan Junyi. Etwa alle zehn Jahre kommt es am Jangtse zu schweren Überschwemmungen. Mehr als 300 000 Menschen starben im letzten Jahrhundert in den Fluten. Doch Umweltschützer fürchten, daran werde sich nichts ändern, solange weiter Wälder abgeholzt werden. Der Damm habe einige Probleme sogar verschärft. So sagt Wu Dengming von der Grünen Freiwilligen Liga, die Erdrutsche seien heute schwerer und häufiger als früher.
Wasser gilt als saubere Energiequelle, nicht erst seit ein Tsunami das Atomkraftwerk von Fukushima zerstöre. Doch das Beispiel Dreischluchtendamm zeigt, wie die Nutzung der Wasserkraft die Natur und den Lebensraum der Menschen verändert. Zudem haben der Damm und seine Folgen Investitionen von umgerechnet mehreren Dutzend Milliarden Euro verschlungen. »Der Dreischluchtendamm, also die Staumauern, das Elektrizitätswerk und die Schiffsschleuse kosteten nicht mehr, als 1993 geplant«, erläutert der leitende Ingenieur Yan Junyi. »Aber die Ausgaben für die Umsiedlung der Bevölkerung haben den Plan überstiegen.«
Das Boot fährt vorbei an steilen und spitzen Felsen, neu gebauten Hängebrücken und grauen Betonsilos, die an den Ufern hochgezogen wurden. Es hält auch in der Stadt Fengjie, wo sich gut studieren lässt, wie die Umsiedlung abläuft. Denn hier steht noch ein kleiner Teil der Altstadt – aber nicht mehr lange. Zwar ist das Stauziel, ein Wasserstand von 175 Metern über dem Meeresspiegel, schon erreicht. Doch um moderne Bauten zu errichten, werden auch die noch verbliebenen Bewohner zwangsumgesiedelt. Das bietet die Chance, zu erfahren, was vorher mit 1,3 Millionen Menschen geschah, die dem erhöhten Wasserstand weichen mussten – auch das ein Weltrekord des Drei-Schluchten-Projekts.
Ein letzter Blick darauf, wie es vor der großen Umsiedlung überall hier aussah: Zwischen den drei- bis vierstöckigen Häusern aus grauem Backstein hängt ein Wirrwarr von Stromleitungen. Auf der Straße voller Schlaglöcher spazieren so viele Leute, als wäre sie eine Fußgängerpromenade. Anwohner kochen draußen Nudeln. Auch der Friseur schneidet die Haare quasi im Freien, da sein Laden keine Außenwand hat. Auf Hockern und Kartons spielen Rentner Karten − um Geld. Das setzen auch ihre Nachbarn ein beim traditionellen chinesischen Mahjong; lautstark schieben sie die Spielsteine hin und her. Ein Schmied hämmert auf dem Amboss ein glühendes Stück Eisen. Ein Gerber enthaart rohe Tierhäute. Berufe, die man in Europa fast nur noch aus Familiennamen kennt. Manche Nachbarhäuser allerdings liegen bereits in Trümmern. So ahnen die Bewohner, was auf sie zukommt.
Eine Frau, die ihren Enkelsohn auf dem Arm trägt, schimpft: »Die Behörden lassen uns im Unklaren. Zwar sagten sie, dass wir umziehen müssen, aber nicht, wann. Doch die Abrissbagger können jeden Tag kommen. Schauen Sie auf die Ruinen da vorne!« Bekommen sie eine Entschädigung? »300 Yuan pro Quadratmeter sollen wir kriegen. Doch für so wenig Geld findet man in der Neustadt keine Wohnung, schon gar nicht mit der gleichen Quadratmeterzahl.« Ihr Mann, auf dem Kopf eine
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