Mit Konfuzius zur Weltmacht
Schirmmütze, schreit: »Die da oben stecken sich unsere Entschädigung in die eigene Tasche.« »Die Regierung kümmert sich nicht um uns«, unterstützt ihn seine Frau. »Wir erhalten nur ein Drittel des Geldes, das uns zusteht. Den Rest unterschlagen die Funktionäre.«
Wie zur Bestätigung erzwingt sich in diesem Moment eine schwarze Audi-Limousine den Weg durch die Menge von Unzufriedenen und Schaulustigen, die sich um die beiden angesammelt hat.
Der Wohnraum, der hier verloren geht, ist erbärmlich. Doch die Bewohner sind an diese Umgebung gewöhnt. Auch junge Leute leben hier im Viertel, wie Li und ihre Freundinnen, Studentinnen einer örtlichen Fachschule. Vor ihrer Tür wäscht Li grünen Salat in einem Plastikbottich. »Ich möchte nicht umziehen. Früher wohnte ich da vorne, aber das Haus ist schon abgerissen.« Teure Wohnungen können sie sich nicht leisten, deshalb haben sich die Studentinnen nach dem Abriss ihrer bisherigen Unterkunft im nächsten freien Raum eingerichtet. Genau genommen ist es nur ein Bretterverschlag mit drei Pritschen, Postern von Popstars an der Wand sowie ein paar Zahnputzbechern und Shampooflaschen. »Wir leben hier schon einige Zeit«, sagt Lis Mitbewohnerin He. »Ich fühle mich diesem Ort irgendwie verbunden. Aber innerhalb der nächsten zwei Jahre müssen wir umsiedeln.«
Geben ihnen die Behörden eine Ersatzwohnung? »Auf keinen Fall, denn wir wohnen nur zur Miete.« Und Mieter werden nicht entschädigt, nur die Hausbesitzer.
Eine Fahrt von der Dritten Welt in die Erste – sie dauert nur wenige Minuten. Wir benutzen ein Schwarztaxi. Luo Pinde, ein junger beredter Mann in dunkelblauem Jackett, weißem Hemd und mit Schmalzlocke, fährt ohne Lizenz. Eine rote Hängebrücke verbindet die Altstadt mit der Neustadt. Die Fahrt führt vorbei an Baustellen in die glitzernden neuen Straßen von Fengjie – mit einer Million Einwohnern in China eher eine kleinere Stadt. Hochhäuser erheben sich über vierspurige, frisch geteerte Straßen und getäfelte Gehwege. Leuchttafeln an den Bankfilialen zeigen die letzten Zinssätze und Devisenkurse an. Das Schuhgeschäft bietet Schick im italienischen Stil. Fahrer Luo begrüßt die Veränderungen: »Jetzt geht es mir besser als früher. Anfangs war ich mit der Entschädigung unzufrieden. Doch die neue Wohnung, die mir übertragen wurde, hat einen vielfach höheren Wert pro Quadratmeter als die alte. Also ist mein Vermögen gewachsen.«
Zurechtgestutzte Zypressen und in akkurate Reihen gepflanzte Blumen wachsen auf der Insel eines Kreisverkehrs. Gut gekleidete Bürger drängen sich in neue Kaufhäuser, gepflegte Restaurants und Fast-Food-Läden. Kaum zu glauben, dass dies ein Teil derselben Stadt ist, deren altes Viertel wir gerade noch gesehen haben. Die Häuser und Straßen wurden innerhalb der letzten 15 Jahre aus dem Boden gestampft. Über dem Armaturenbrett des Autos, in dem wir fahren, thront ein lachender Buddha als Glückbringer. Durch einen jüngst erbauten Tunnel geht die Fahrt in den nächsten Ort, Wushan, er zählt 600 000 Einwohner. Hier ist unser Fahrer zu Hause.
Auch in dieser Stadt ist alles neu, auch ihre Bewohner wurden wegen des Dreischluchtendamms umgesiedelt. Die Plätze sind pompös, das Design der Straßenbeleuchtung modern, die Abfallbehälter trennen nach wiederverwertbarem und nicht wiederverwertbarem Müll. Kiefern schmücken die Straßenränder. Mit Bambusstangen tragen Bauern Kohlköpfe umher. Früher prägten sie allein diese Gegend, jetzt müssen sie sich ihren Weg durch den dichten Autoverkehr bahnen. Neu sind nicht nur die Gebäude, neu ist auch eine Statue des alten Konfuzius, die über die Stadt blickt. Seine Idee von einem zivilisierten Zusammenleben dürfte er in der geordneten Neustadt eher verwirklicht sehen als in der Unordnung der Altstadt.
In Sichtweite des Philosophen reihen sich weiß angestrichene siebenstöckige Neubauten aneinander. Davor liegt noch Erde aufgeschüttet, doch die Häuser sind bereits bezogen – von Zwangsumgesiedelten aus Gebieten, die dem Wasser weichen mussten, dessen Pegel durch den Damm erhöht wurde. Durch das Fenster aus einer der Wohnungen hier sieht man oben auf dem Berg Villen, die ebenfalls neu sind, mit ihren geschwungenen Dächern aber an traditionelle chinesische Paläste erinnern.
Im Wohnsilo hier wohnt Lü Jiafu mit Frau, der Familie seines Sohnes und seinem Enkel. Ihre Wohnung ist blitzsauber und aufgeräumt, vor allem verglichen mit denen in der Altstadt:
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