Mit Konfuzius zur Weltmacht
Blumenstrauß entgegen und sagt: »Ehefrau, komm mit mir nach Hause. Ich werde dich immer lieben, für dich sorgen. In deinen schwersten Momenten werde ich dich trösten. All mein Geld werde ich für dich ausgeben.« Weise lächelnd antwortet sie: »Dann streng dich an, mehr Geld zu verdienen.« Danach trägt der Bräutigam die Braut über die Türschwelle. Er arbeitet für eine Airline als Sicherheitsbegleiter an Bord, sie ist Stewardess. Damit gehört das Paar zum neuen Mittelstand in der Mega-Metropole.
Die größte Stadt der Erde liegt sowohl in der Ersten als auch in der Dritten Welt. Der junge Architekturprofessor Chen Gang zieht mit einem Dutzend Studenten durch eines der armen Viertel. Seit Jahren schon pflegt er diesen praktischen Unterricht vor Ort. Weil Chongqing inmitten von Bergen liegt, nennt er die Exkursionen »Kletternder Wurm«. Meterlange Risse durchziehen den Straßenbelag, an vielen Stellen quillt Schotter heraus. Die Treppen, die den Hang hinaufführen, sind von Müllhaufen bedeckt. Es stinkt nach Urin und Verwesung. Ein Mann in einer verwaschenen dunkelgrauen Jeansjacke schimpft: »Die Volksregierung kümmert sich nicht um das Volk.« Derlei erlebt man in China heute immer öfter, viele Menschen haben keine Angst mehr, öffentlich ihren Ärger auszudrücken.
Dem Professor und seinen angehenden Architekten dient das Elend vor allem zu Studienzwecken, sie wollen es besichtigen, bevor es zu spät ist. »Schauen Sie auf diese Häuser«, sagt Professor Chen. »Vieles davon ist schon platt gewalzt. Auch die anderen werden alle abgerissen.« Auf Hauswände ist das Schriftzeichen chai gemalt, das »abreißen« bedeutet – als Hinweis für die Rollkommandos, welche der Häuser demoliert werden sollen, um Platz für Neues zu schaffen.
Die 15- bis 20-stöckigen Hochhäuser nebenan zeigen, wie es hier bald überall aussehen wird. »Chinesische Städte verändern sich täglich, ihre Bevölkerung wächst schnell«, meint Chen Gang. »In Europa bleibt die Einwohnerzahl relativ stabil. Deshalb muss dort nicht so viel Neues gebaut werden. Chongqing heute lässt sich vergleichen mit London oder Paris früher, die haben sich alle so entwickelt. Erst waren sie klein, und dann kamen viele Leute von außen rein.« Doch hohe Mieten werden Altstadtbewohner in die Vororte drängen. In Chinas Sozialismus sind nicht alle gleich.
»Fünf – vier – drei – zwei – eins«, zählt langsam eine Mitarbeiterin des Hochzeitsunternehmens im Festsaal des Carlton Hotels , sie führt hier Regie, trägt eine graue Uniform, weiße Handschuhe und hat ein Walkie-Talkie umgebunden. Mit dem Ende des Countdowns verbeugt sie sich – der offizielle Teil der Hochzeit von Wang Weijian und Zhang Lei kann beginnen. Zwei Tänzerinnen in roten Minikleidchen und hochhackigen weißen Stiefeln stürmen auf die Bühne, synchron legt jede von ihnen eine Violine unters Kinn und streicht mit dem Bogen die Saiten zur Playbackmusik.
Solche professionell organisierten Feiern sind in China üblich – in Chongqing sowieso. Wer es sich leisten kann, zeigt das hier gern. »Die Hochzeiten werden immer großartiger«, sagt Tong Enhui, die Mitarbeiterin der Hochzeitsfirma. »Die Kunden geben immer mehr Geld dafür aus.«
Zu schmalziger Musik öffnet sich der Bühnenhintergrund, wie ein Superstar tritt der Bräutigam heraus. Die Braut stöckelt von der gegenüberliegenden Seite durch einen Torbogen. Heiraten in einer aufstrebenden Stadt. Wie eine TV-Show wird die Feier auch von einem Kamerakran aus aufgezeichnet – fürs elektronische Familienalbum. 300 Verwandte, Freunde und Kollegen sitzen um runde Esstische, erleben die großen Gefühle live. Die Eheringe kommen mit ferngesteuerten Spielzeughubschraubern angeflogen. Liebe geht hier durch das Bankkonto – sofern es voll ist. Das gilt in der größten Stadt der Erde aber längst nicht für alle.
Ausgang des Chaotianmen-Markts: Ein alter Mann in hellgrauer Jacke balanciert eine Bambusstange. Am einen Ende baumelt ein prall gefüllter Sack mit Mickymaus-Muster, der offensichtlich Einkäufe vom Markt enthält, am anderen Ende eine Reisetasche mit den Utensilien des Herrn im Dauergespräch am Handy, der hinter dem Lastenträger hergeht. Lastenträger warten in Chongqing vor Kaufhäusern und Bahnhöfen auf Kunden. Wegen ihres Arbeitsinstruments heißen die etwa 100 000 Lastenschlepper hier bangbang , »Stockstock«.
Der Kunde ist ein Kleinhändler vom Land, der sich auf dem Markt mit Spielzeug
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