Mit Konfuzius zur Weltmacht
eingedeckt hat. Er spricht nicht gern. Was kostet ihn dieser Service? »Ein paar Yuan.« Wie findet er das? »Sehr praktisch.« Nutzt er die Lastenträger oft? »Ja, sehr oft.« Der Lastenträger, sein Name ist Liu, sagt, für den Job bekomme er 20 Yuan. Im Monat schaffe er im Schnitt 2000 Yuan, umgerechnet etwas mehr als 200 Euro. Gewöhnlich trage er Lasten, die zwischen 50 und 100 Kilogramm schwer sind.
Körperlich weniger anstrengend und in deutlich gediegenerem Ambiente arbeitet Coco, die wir in der Haifischbar kennengelernt haben. In einem ruhigen, idyllischen Park liegt die Werbeagentur, die sie gemeinsam mit ihrem Mann betreibt. Das einstöckige, im traditionellen chinesischen Stil gebaute Gebäude grenzt direkt an einen Teich, rote Pfeiler tragen ein Vordach. Drinnen ist jedes Detail sorgfältig gestaltet. Die Innenwand mit ihren unebenen Steinen gleicht einer historischen Mauer, der Boden glänzt in edlem Parkett. Kakteen und Babyfotos schmücken die Computertische. 20 Kaufleute und Designer sind bei Coco angestellt. Die Geschäfte laufen gut, die Mitarbeiter gehören zu den erfolgreichen jungen Stadtbewohnern. Gerade ist die Firma in diese bessere Lage umgezogen.
Coco ist in Chongqing bestens vernetzt und schon länger im Luxus-Business tätig. Früher beriet sie Marken wie Armani und Chanel. Aus ihrem Computer klingt der Sopran einer Sängerin, der Monitor zeigt Sonnenblumen, Wiesen und Kornfelder. »Das ist ein Werbeclip, den wir für eine Immobilienfirma entworfen haben«, sagt Coco. Ihre Agentur betreut inzwischen vorwiegend Kunden aus der Immobilienbranche. Coco lächelt: »Die Wohnungspreise sind jetzt hoch. Und sie gehen weiter nach oben. Das ist gut für unser Geschäft.« Die Immobilienpreise in Chongqing steigen um 6 Prozent – pro Monat. Coco und ihr Mann profitieren davon.
Auch die angehenden Architekten hoffen auf florierenden Hausbau. Sie haben einen Bus angemietet, denn bei ihren Exkursionen durch die Riesenmetropole müssen Professor Chen Gang und seine Studenten Hunderte von Kilometern zurücklegen. Ein Stopp ist der Aussichtspunkt, von dem aus man die Umrisse des Stadtkerns von Chongqing sieht, die an Manhattan erinnern. »Achten Sie auf die Kontraste«, sagt Professor Chen den Studenten. »Hohe und kleinere Häuser sowie Grünflächen wurden hier gut ineinander verwoben.« Einigen der Studenten missfallen die Betonklötze am gegenüberliegenden Ufer des Jangtse. »Die passen nicht zur Umgebung«, kritisiert einer. Ein anderer entgegnet: »Aber das sind dringend benötigte Wohnungen. Wie unser altes chinesisches Sprichwort sagt: Reis ist für die Menschen wichtiger als Schönheit.« – »Nein«, widerspricht ihm eine Studentin. »Häuser sind nicht nur für ihre Bewohner gebaut, sondern auch für die Augen der Passanten.« Ein Streit, der angesichts der rasanten Entwicklung in Chongqing und ganz China tobt. Der Professor genießt die Auseinandersetzung, er lacht verschmitzt, ihn fordert das heraus. Er sagt: »Es ist das größte Glück, in dieser Stadt als Architekt zu arbeiten. Nirgendwo sonst auf der Erde hast du so viele Möglichkeiten, etwas zu erfinden und zu experimentieren.«
Das führt zu einem fröhlichen Durcheinander. Je nach Standort fühlt man sich hier in Peking, in New York oder in Bergisch Gladbach. In den Eingängen halb verfallener Häuser mit rußgeschwärzten Fassaden kauern alte Frauen auf Plastikhockern, verkaufen Kugelschreiber und Kaugummi – deutsche Tante-Emma-Läden wirken verglichen damit wie Supermärkte. Eine Straßenecke weiter funkeln Bürotürme, in der Nacht werden sie grün und rosa angestrahlt. Siedlungen mit Einfamilien- und Reihenhäusern an den Berghängen sehen aus, als sollten hier Seifenopern über das ruhige Leben in Europa gefilmt werden. »Zu Chongqing gehören Berge, Täler und Flüsse, das bietet uns Architekten interessante Möglichkeiten«, meint Chen Gang. »Vor allem aber wird sehr viel gebaut. Hier können wir unsere Ideen mit denen der zukünftigen Hausbewohner zusammenführen.«
Für Architekten gibt es in Chongqing mehr zu tun als sonst irgendwo auf der Welt. Täglich entstehen hier 137 000 Quadratmeter neuer Büro- und Wohnraum. Innerhalb von vier Jahren baute die Stadt acht Autobahnen, acht Zugstrecken und acht Brücken. Ganze Stadtviertel werden abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Halbe Fassaden sind eingebrochen, von vielen Häusern nur noch Trümmer geblieben. Im Distrikt Shapingba sehen manche Straßenzüge aus wie
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