Mit Kurs auf Thule
Bischof Jón die christlichen Bräuche der nordischen Grönländer prägte, doch die alte Religion war auch in Gardar noch lange nicht tot, wie Poul Nørlund vor über achtzig Jahren entdeckte. Direkt außen neben ihrer Kathedralenmauer, in Erde, die neu aufgebracht worden war, um dem Friedhof einen ausreichend tiefen Boden zu geben, hatten die Nordmänner sorgfältig mehr als zwanzig Walrosskiefer vergraben, aus denen sie zuvor die Zähne entfernt hatten. Sie lagen noch unangetastet dort, als Nørlund sie fand, und waren, da sie einem rituellen oder religiösen |109| Zweck gedient hatten, in ihrer Zusammenstellung sehr beeindruckend. Auch ein viel späterer Fund eines Arrangements mit Ochsenschädeln auf einer frühen nordischen Hofstelle in Nordisland verweist auf einen Versuch, einen anderen Gott als den des Bischofs in Gardar zu besänftigen. Zudem wurden zwei sorgfältige Anordnungen von Walrosskieferknochen, wieder ohne Zähne, auf Willows Island vor der Südküste von Baffin Island gefunden. Man kennt solche rituellen Anhäufungen von Walrosskiefern von den Dorset- oder Thule-Menschen auf beiden Seiten der Davis Strait, doch es gibt keinen Zweifel daran, wer die Schädelteile in Gardar vergrub, und auch am heidnischen Impetus hinter diesem Vorhaben ist nicht zu zweifeln. Vielleicht sollte man auch die Arrangements auf Willows Island jagenden Nordmännern aus Grönland zuschreiben, die hofften, damit die Glücksgöttin gnädig zu stimmen. 18
Im Zuge der Expansion der römischen Kirche in Grönland wurden am Tasermiut-Fjord ein Augustinerkloster und am Uunartoq-Fjord ein Konvent der Benediktinerinnen, jeweils mit eigener Kirche, errichtet. Klöster der Benediktinerinnen entstanden im 12. Jahrhundert auch in Island und Norwegen, und es gibt keinen Grund, warum es in Grönland anders gewesen sein sollte. Auch in Grönland könnten das Nonnen- wie das Mönchskloster auch als Altenheime und Krankenhäuser gedient haben. Als Nørlund und Roussell die Kirche untersuchten, die wohl Teil des Mönchsklosters war, schlugen sie ein Datum um 1200 für den Bau vor. Die Kirche, der Friedhof und der große Hof des Nonnenklosters wurden von C. L. Vebæk ausgegraben, dessen Meinung nach die Kirche relativ jung war und aus der Zeit um 1300 stammte, wobei es aber Hinweise auf mindestens eine frühere Kirche an gleicher Stelle gab. 19 Abgesehen von diesen Beobachtungen muss man anmerken, dass unser Wissen über beide Stätten, ganz ohne das Verschulden der Archäologen und der ihnen damals zur Verfügung stehenden Technik, bestenfalls punktuell ist, während wir über das Gemeindeleben dort so gut wie nichts wissen.
|114| Kirchliche Diplomatie im Auftrag des Königtums
Wir haben keine Quellen dazu, wie Olaf seine bischöflichen Pflichten wahrnahm, solange er in Gardar residierte; fest steht aber, dass seine Abwesenheit ihm keine übermäßigen Gewissensbisse bereitete und dass er lange und gefährliche Seereisen nicht fürchtete. Seine verschiedenen Reisen sind auch eine Warnung vor der Fehleinschätzung des 19. Jahrhunderts, dass nämlich eine Reise nicht stattgefunden habe, wenn sie nicht irgendwo verzeichnet sei. Grönland war nicht gerade ein maritimer Verkehrsknotenpunkt, aber es verkehrten weitaus mehr Schiffe auf den Seeverbindungen zwischen Norwegen und Island und zwischen Island und Grönland als jene, denen die Ehre einer schriftlichen Erwähnung zuteil wurde, weil die Mannschaft vielleicht gerade einen wichtigen Auftrag hatte, Schiffbruch erlitt oder sonst irgendwie in Schwierigkeiten geriet. Man sollte auch daran denken, dass private Handelsfahrten direkt zwischen Grönland und Norwegen, ohne Zwischenstopp in Island, für die isländischen Annalenschreiber generell kaum von Interesse waren und dass Kaufleute kaum von einem direkten Austausch von grönländischen Waren gegen eben jene isländischen Produkte profitierten, die die Grönländer doch selbst zu Hause hatten.
Falls Bischof Olaf nach seinem Schiffbruch vor Island 1262 wieder einige Jahre in Grönland verbrachte, könnte es vielleicht eine Verbindung zwischen ihm und einem Schiff gegeben haben, das von Grönland kommend 1266 bei Hitarness in Westisland auf Grund lief. Es gehörte dem grönländischen Bischof, so vermelden es die manchmal nicht ganz zuverlässigen
Grænlands annáll.
Deren Kompilator Björn Jónsson aus Skar∂sá, der im 17. Jahrhundert lebte, erwähnt auch, es sei ein grönländischer Priester namens Arnold an Bord gewesen, den man gerade
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