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Mit Nackten Haenden

Titel: Mit Nackten Haenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simonetta Greggio
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Brunnens. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihm leicht über die Nüstern zu streichen.
    Diese Verbindung von Schönheit, Bedrohung und Wechselhaftigkeit war für mich schon immer der Inbegriff der Gefahr.

     
    Als wir das Gestüt erreichten, nahmen uns zwei Pferdeknechte in Empfang und führten uns durch mehrere Stallgebäude. Die Vollblüter wieherten, als wir an ihnen vorbeiliefen. Ich las ihre Namen auf den Boxen, Tender is the night, Sorry Angel, Mondsüchtig, Rose Madder.
    Wir traten schließlich in einen großen, makellos sauberen Stall, in dem eine kranke Stute lag, ihre Augen waren feuchttrüb, die Flanken bebten in Schüben. Neben ihr saß auf einem Schemel die junge Frau, die mich angerufen hatte. Ihren zerzausten Haaren, den zitternden Händen und zerknitterten Kleidern nach zu urteilen, hatte sie offenbar die ganze Nacht nicht geschlafen. Sie hatte sicher auch viel geweint, denn ihre Augen waren rot und umschattet, ihr Gesicht blass und grau verschmiert. Sie flüsterte nur: »Sie heißt Beloved.«
    Ich tastete die Stute sanft ab, rundherum, ohne etwas anderes festzustellen als Verschleiß, eine Altersmüdigkeit, die alles zerstört hatte. Die junge Frau verzog keine Miene, während sie meine Bewegungen verfolgte. Ich hielt inne und senkte den Blick. Mit ihrer schmutzigen kleinen Hand berührte sie meine Schulter, damit ich aufstand, dann sah sie mir in die Augen und sagte: »Es ist vorbei, nicht wahr«, ein Satz, den sie nicht als Frage ausgesprochen hatte, sondern als Gewissheit. Ich nickte, während sie sich hinkniete und die Wange an den Hals der zitternden Stute schmiegte, dabei vermischten sich ihre blonden Strähnen mit den weiß gewordenen Pferdemähnenhaaren. Ich bereitete die Spritze vor, eine schwere Dosis Barbiturate, ohne ein weiteres Wort zu
verlieren. Gio, der sich seit unserer Ankunft nicht aus der hinteren Boxecke gerührt hatte, fasste die junge Frau am Ellbogen und ging mit ihr hinaus.
     
    Sterbehilfe ist keine harmlose Verrichtung. Trotz wachsender Erfahrung gewöhnt man sich nie daran. Sie bedeutet Ohnmacht, sinnlose Wut, Mitleid, das zu empfinden man sich nicht eingestehen will. Der Tod bleibt an den Fingern haften, er lässt sich nie mehr entfernen. Jemand muss es aber tun. Also tut man es.
    Manche Tierärzte verwenden dazu eine Pistole, insbesondere bei Pferden. Das ist zwar brutal, hat aber den Vorteil der Schnelligkeit. Ich bevorzuge die sanfte Methode. Meiner Mischung füge ich hypnotische und beruhigende Substanzen hinzu, schmerzstillende Opiate, die auf das Zentralnervensystem einwirken, sowie Morphinderivate mit euphorisierender Wirkung. Der Tod ist ein wichtiger Moment im Leben … In den fünf Minuten, die auf die Vorbereitung folgten, zog ich mich in dieses dunkle Reich zurück, das d’Aurevilly mir zugänglich gemacht hatte, ein eisiges Halbgott-Universum, in dem ich allein herrsche und weder zweifeln noch zögern darf.
    Als das Hufeschlagen, das Wiehern, Schnauben und Röcheln verstummt waren, kam die junge Frau wieder. Sie ging in die Hocke und begann, den langen Körper zu streicheln, der endlich Frieden gefunden hatte. Sie sprach nicht mit mir, hob nicht einmal den Kopf, als ich ging. Sie war wohl knapp unter dreißig, zwei oder drei Jahre älter als ihre Stute. Mit Beloved gingen auch ihre Kindheit und ein Teil ihrer Jugend verloren.

     
    Draußen in der Sonne musste ich blinzeln. Der Gestütsbesitzer stand neben Gio. Ich sagte ihm, ohne noch länger zu verweilen, dass ich ihm die Rechnung zuschicken würde. Fürs Töten lasse ich mich nur ungern bezahlen.
    Wir gingen zum Auto, als Gio plötzlich kehrtmachte. Die foals , die Jungtiere, liefen neugierig auf ihn zu. Ihre Mähnen glänzten im Licht dieses windigen Vormittags, als sie die Köpfe schüttelten, die Handvoll Klee beschnupperten, die er ihnen mit der geschlossenen Faust über den Zaun reichte.
    Auf der Rückfahrt fragte mich Gio, wie viel so ein Pferd denn kostet. Ich nannte ihm eine Preisspanne. Sagte auch, dass manche dieser Pferde allein durch einmaliges Decken so viel Geld einbrachten, wie ich in zwei Jahren verdiente.
    »Wow! Ganz schön teuer für fünf Minuten Spaß«, antwortete er und lachte schallend.
     
    Wieder in La Louvière, rief ich seine Eltern an. Micol war am Apparat. Ihre leicht heisere, fast verhaltene Stimme, deren Feuer, Seide und Wüten ich so gut kannte. Ich hatte schon lange nicht mehr mit ihr gesprochen, trotzdem schien unser Gespräch genau dort anzuknüpfen, wo wir

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