Mit Pflanzen verbunden
erweichend, schleimhautschützend und beruhigend bei Reizungen, Entzündungen und Katarrhen der Luftwege, Magen- oder Darmentzündungen, Durchfall und Halsschmerzen. Auch beim Zahnen der Kinder hilft das Kauen der Wurzeln. Die Blätter sind zudem gut als Gemüse essbar und werden im Nahen Osten noch immer so verwendet.
Wer war nun dieser Neandertaler, der an einem Sommertag vor rund 60 000 Jahren auf einem Blumenbett bestattet wurde? Wir wissen es nicht. Vielleicht war er selbst ein Kräuterheiler.
Kulturhistorisch ist der Beifuß mit Frau Holle verknüpft (der Holda , „der Verborgenen“; der Bertha, Bächteli oder Percht , „die in Strahlenglanz gehüllte“), deren Bild eine Urerinnerung an die große paläolithische Göttin darstellt, die Personifizierung der Mutter Erde, der Großmutter aller Geschöpfe. Sie ist die Wilde mit zerzaustem Haar, die mit der Gänseschar fliegende Schamanengöttin, die Schicksalsspinnerin, die Höhlenfrau, die Herrin des brodelnden Zauberkessels, das Gänsemädchen, die Gefährtin des geweihtragenden Gottes, die Beschützerin der Toten und der Naturgeister. Ihr galten wohl die fettleibigen „Venus“-Figuren, die in den Kulthöhlen der steinzeitlichen Mammut- und Rentierjäger gefunden wurden (Campbell 1987: 313). Auch diese Höhlen wurden, wie Pollenanalysen des Bodens zeigen, mit Beifußkraut ausgelegt. Ihr Bild lebt weiter in den Sagen und Märchen, wie zum Beispiel bei Frau Holle der Gebrüder Grimm, in den indianischen Sagen der „Großmutter unter der Erde“ oder bei den Griechen, in der Gestalt der wilden, der unbezwingbaren Göttin der Wildnis, der Artemis , der Tierherrin, der Bärin und der ersten Hebamme. Nach ihr benannten die alten Griechen die graue, würzig aromatische Staude aus der großen Familie der Korbblütler.
Das Kraut der Großmutter
Aber auch persönlich verbindet mich dieses Kraut mit meinen Wurzeln, mit der Mutter meiner Mutter und deren Müttern, und wer weiß, wie tief diese Wurzeln reichen. Das Kräutlein ist eine der ers-ten Pflanzen, die ich kennen lernte, und es ist mir nicht entgangen, dass es für meine Großmutter, die ich liebte, etwas ganz Besonderes darstellte. Sorgfältig kümmerte sie sich um diese Pflanze, kein Tag verging, ohne dass sie von ihrem Küchenfenster einen Blick auf die Beifußstaude warf. Zu Weihnachten kam ein Sträußchen des Krautes mit in die Gans, die mehr als ein bloßer Festtagsbraten war, sondern wie eine Kommunion mit etwas unaussprechlich Heiligem zelebriert wurde.
Die Vorfahren dieser Großmutter kamen aus dem Erzgebirge, aus der Nähe einer Ortschaft, die sich Morgenröte-Rautenkranz nennt (und aus der zufällig auch der erste deutsche Raumfahrer, Siegmund Jahn, stammt). Bergleute waren es, Steiger, Knappen, Eisenerzhauer und Glockengießer, die irgendwann im Mittelalter von Böhmen her das alte Ursteingebirge besiedelten. Das mit Fichten bewaldete Erzgebirge gab nicht viel her. Es ist kalt, der Schnee liegt lange und tief im Winter, und der Boden ist mager und sauer. Das Leben ist hart und die mit Schiefer gedeckten Häuschen sind winzig, regelrechte Zwergenhäuschen, denn vom Erzbergbau wurde man nicht reich. Zwar wurde seit dem 12. Jahrhundert Silber gefördert, dann Zinn, Blei, Kobalt, Zink und Eisenerze, so dass der sächsische Kurfürst einer der reichsten deutschen Fürsten wurde, aber im Laufe der Jahrhunderte waren die Gruben allmählich erschöpft. Wegen des rauen Klimas war der Ertrag der Hausgärten und Felder an Roggen und an „Ärdäppeln“(Kartoffeln) eher dürftig. Obstbäume gab es in größeren Höhen nicht mehr, einzig den „Vuglbärbaam“ (Eberesche), der überall die Straßen säumte und aus dessen rotgelben Beeren Most und Mus zubereitet wurde.
Um über die Runden zu kommen, züchteten die Erzgebirgler Gänse, die sie dann in der Adventszeit ins Unterland trieben. Auch kannten sie sämtliche essbaren Pilze und verkauften diese. Die Frauen klöppelten Deckchen und Spitzen aus Zwirn, stellten Quasten, Schnüre, Fransen und umsponnene Knöpfe her, die Männer schnitzten und drechselten Holzfiguren – Nussknacker, Weihnachts-pyramiden, „Räuchermänneln“, Krippen, Rehlein und andere Waldtiere aus Tannenholz –, die sie dann auf den Weihnachtsmärkten der sächsischen Städte verkauften. Jung und Alt sammelten Heilkräuter, Kräuter gegen jedes Gebrechen, denn Arztbesuche konnten sie sich nicht leisten. Sie dörrten die Kräuter, packten sie in den Ranzen und gingen damit
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