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Mit Pflanzen verbunden

Mit Pflanzen verbunden

Titel: Mit Pflanzen verbunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf-Dieter Storl
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Innen- und die Außenwelt. Die Natur, die Wiesen und Bäume auf dem Campus, an denen man sonst achtlos vorüberging, die Hauskatze in ihrem Spiel, die Spielchen der anderen Menschen, die Musik – alles nahm man viel intensiver wahr als sonst. Auch die eigenen Gefühle und die Empfindungen, die in der eigenen Seele hochstiegen, konnte man besser beobachten. Man lebte mehr in der Gegenwart. Der Hamburger und die Cola wurden nicht einfach heruntergeschlungen, da man intensiver schmecken konnte. In diesem Zustand kamen einem die „normalen“ Menschen wie ferngesteuerte Roboter oder wie unreflektiert agierende oder reagierende Pawlow’sche Hunde vor. Manchmal war ihr Verhalten so komisch, dass man einfach lachen musste. Wie die Pflanze aussah, die all das bewirkte, wussten wir noch nicht. Aber wir wussten inzwischen, wo wir das Gras finden konnten: im Schwarzenghetto in der Innenstadt, beim Prediger der baptistischen Church of Christ’s Glory. Der war hip, der hatte immer etwas.
    Erst allmählich erkannten wir, dass wir Teil einer Welle waren, die das Bewusstsein des Landes zu verändern schien. Schon im nächsten Jahr sah man immer mehr Blumenkinder mit langen blumengeschmückten Haaren und in bunte Baumwollklamotten gekleidet. Sie lagerten mit ihren Hunden auf dem Rasen des Campus, spielten Gitarre, tanzten, sangen Mantras, teilten ihr Essen und rauchten ihr Kraut. Wir wussten damals noch nicht, dass sogar Prominente wie Präsident Kennedy, der junge Bill Clinton, Musiker wie die Beatles oder Satchmo, Verleger, Schauspieler, die Gründer weltweiter Computerimperien und seriöse Wissenschaftler auf der gleichen Welle surften.
    Wir merkten zunächst, dass das Kraut, im Gegensatz zu den Behauptungen der Drogenpropaganda, weder wahnsinnig noch stumpfsinnig machte. Wir hatten deswegen auch keine Probleme mit unserem Studium an der Uni. Das berühmte „Amotivationssyndrom“ („null Bock“) stellte sich nicht ein. So etwas gibt es nur, wenn man zu etwas gezwungen wird, auf das man wirklich keine Lust hat. Lediglich am frühen Morgen dauerte es etwas länger, ehe man aus den Federn kam, aber als Student brauchte man nicht unbedingt die frühe Vorlesung zu besuchen. Eine Einstiegsdroge für härtere Drogen war Marihuana auf keinen Fall. Auch stellte sich heraus, dass es absolut nicht süchtig machte. Süchtig wurden nur diejenigen, die es mit Tabak vermischt rauchten, und es war der Tabak, der sie nicht wieder freiließ. Marihuana war für uns eine Art Initiationserlebnis, eine Initiation in einen neuen, authentischeren Wahrnehmungsmodus. Lange glaubten wir, dass einen diese Pflanze von unechten Wahrnehmungen und Gefühlen befreien könnte. Wenn jeder sie rauchte würde, würde Frieden ins Land ziehen, die Menschen würden einander und ebenso alle Geschöpfe der Erde lieben und respektieren lernen. Das Goldene Zeitalter von Peace & Love , meinten wir, stünde vor der Tür, und Hanf würde den Weg weisen.
    Aber dieser Glaube verschwand wie der Frühnebel bei Sonnenaufgang. Das Kraut brachte lediglich hervor, was im Menschen ohnehin verborgen und veranlagt war. Bald merkten wir, dass Gauner Gauner blieben, auch wenn sie rauchten – oft waren sie dann nur raffiniertere Gauner. Liebevolle Seelen blieben liebevolle Seelen, und die Geschäftsleute, die nun Paisley-Klamotten trugen, nach Patschuli rochen und „Flower-Power“-Werbung machten, blieben Geschäftsleute. Als die Massenbewegung dann politische Dimensionen annahm und linke Agitatoren Marihuana als Waffe gegen das „Establishment“ einsetzten, als es zu Gewalttaten und Gebäudebesetzungen kam, als die Radiostationen die tägliche kill-ratio in Vietnam bekannt gaben, als wäre es der aktuelle Spielstand im Football, und anschließend „Flower-Power-Songs“ spielten, als die Medien – Scott McKenzie machte dafür Werbung mit dem Song „ If you’re going to San Francisco “ – ein massives „Love-In“ in San Francisco verkündeten, wodurch viele Jugendliche auf harte Drogen kamen und sich Geschlechtskrankheiten einfingen, und als schließlich in Woodstock von verwöhnten Wohlstandskids drei Tage lang Dekadenz, Sittenverfall und Umweltbesudelung als Utopie zelebriert wurden, da hatte ich meine Hanfinitiation bereits hinter mir.
    Die geistbewegende Pflanze hatte in mir Zugänge zu verborgenen Seiten meines Wesens und der Schöpfung geöffnet. Dafür bin ich ihr dankbar. Die Dakota-Indianer, die den aus der Alten Welt stammenden Hanf in ihre Kultur integriert

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