Mit Schimpf und Schande
kommentarlos.
Der Major führte sie durch einen luftigen, vom Sonnenlicht erhellten Saal zu einem altmodischen, nur aufwärts oder abwärts fahrenden Lift, der zur ursprünglichen Ausstattung des Turmes gehören mußte, und gab einen Bestimmungsort ein. Der Aufzug besaß nicht ein mal interne Schwerkraftkontrolle, aber trotzdem fuhr er für ein derart überholtes Gerät sanft an. Schließlich öffneten sich seine Türen wieder und entließen die Passagiere in eine weitere geräumige Halle, die sich in den oberen Stockwerken des Turmes befinden mußte. Gardisten waren hier keine zu sehen, aber Honor wußte genau, daß ausgeklügelte Sicherheitssysteme jede ihrer Bewegungen registrierten, und zwang einen ruhigen Ausdruck auf ihr Gesicht, der ihre inneren Gefühle Lügen strafen sollte. Der Major trat an eine geschlossene Tür aus vor Alter dunklem Holz. Er klopfte einmal laut auf einen mit Schnitzwerk verzierten Türflügel, dann öffnete er sie.
»Eure Majestät«, verkündete er mit tragender Stimme, »Lady Harrington und Commander Henke.«
»Ich danke Ihnen, André«, sagte jemand, und der Major trat beiseite, um Honor und Henke passieren zu lassen, dann schloß er geräuschlos hinter ihnen die Tür.
Honor schluckte und schritt über einen riesigen, dicken rostroten Teppich vor. Am Rande nahm sie die Einzelheiten der komfortablen und trotzdem einfachen Möbelstücke wahr, ihre Augen aber ruhten auf den beiden Frauen, die in altmodischen, üppig gepolsterten Sesseln saßen und ihr über ein Kaffeetischchen hinweg entgegenblickten.
Selbst wenn keine Baumkatze auf ihrer Schulter geruht hätte, wäre die Frau zur Rechten unmöglich zu verwechseln gewesen. Ihre Haut besaß einen warmen Mahagoniton und war etwas heller als die Michelle Henkes, aber dunkler als der meisten Manticoraner. Die Ähnlichkeit zwischen ihren und Michelles Gesichtszügen wirkte noch frappierender, wenn man die beiden nebeneinander sah. Die Königin war Honors Meinung nach nicht so hübsch wie Henke, doch lag in ihrem Gesicht noch mehr Charakter, und ihr Blick war scharf, klar und voller Wärme.
Queen Elisabeth erhob sich, als die beiden Offiziere näher traten, und Honor beugte vor ihr das Knie. Als Bürgerliche hätte sie sich vor der Königin nur verneigen müssen; als Peer mußte sie eine förmlichere und tiefere Bestätigung ihrer Lehnsherrin bekunden. Die Königin aber lachte nur leise.
»Erheben Sie sich, Dame Honor, erheben Sie sich bloß.« Selbst ihre Stimme klang wie Mikes, fand Honor, und besaß das gleiche rauchige Timbre. Nervös und wenig unsicher, was sie tun sollte, sah sie auf, und wieder lachte die Königin. »Dies ist eine Privataudienz, Captain. Die Formalitäten heben wir uns für später auf.«
»Äh, ja, Eure Majestät.« Honor errötete beim Stottern, dann aber gelang es ihr wenigstens, sich mit annähernd der gewohnten Eleganz zu erheben. Die Königin nickte beifällig.
»Schon besser«, stimmte sie zu. Sie reichte Honor die Hand, und Honor spürte jeden Zentimeter ihrer eigenen Körpergröße – jeder einzelne davon war aus dem Gleichgewicht geraten –, als sie automatisch die Hand ergriff.
Elisabeths Händedruck war fest. Die grau und cremefarben gemusterte Baumkatze auf ihrer Schulter sah Nimitz an und legte den Kopf schräg. Der Gefährte der Königin war kleiner und schlanker als Nimitz und besaß weniger Altersringe um den Schwanz, seine Augen aber leuchteten ebenso hell und grün. Honor spürte den raschen und sehr tiefgehenden Austausch zwischen ihm und Nimitz. Dann nickten die ‘Katzen einander zu; Nimitz ließ ein leises »Bliek« ertönen und entspannte sich.
Honor sah die Königin an, und Elisabeth lächelte milde.
»Ich wollte Ariel gerade vorstellen, aber ich glaube, er ist mir zuvorgekommen.« Ihr Tonfall wirkte so drollig, daß Honors Lippen unwillkürlich zuckten, und vieles von ihrer Unsicherheit fiel von ihr ab. Die Königin ließ ihre Hand los und wandte sich an Henke.
»Aha, aha. Wenn das nicht Cousine Mike ist!«
»Eure Majestät.« Auch Henke drückte der Königin die Hand – und verhielt sich dabei wesentlich natürlicher, als es ihrer Kommandantin gelungen war, stellte Honor fest. Erneut schüttelte Elisabeth den Kopf.
»So förmlich, Captain Henke?«
»Ich …«, begann Mike, dann stockte sie. »Was hast du da gesagt?« wollte sie wissen, und die Königin kicherte.
»›Captain‹, habe ich gesagt, Mike. Von dem Rang hast du doch schon mal gehört, oder?«
»Ja, sicher, aber
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