Mit Schimpf und Schande
senkte kurz ein Augenlid. Honor erwiderte das angedeutete Blinzeln mit einem beiläufigen Nicken und folgte Henke durch die Luke.
Sie gingen an dem Marineinfanteristen vorbei, der vor der Kommandantenkajüte Posten stand, und schritten langsam zum Lift. Der Gang war, wie im Offiziersquartier üblich, verlassen, aber Honor bemerkte, wie Henke um sich blickte. Die komplette Offiziersmesse der Nike war am Abend zuvor bei einem Ehrendiner erschienen, zu dem Honor anläßlich der Verabschiedung Henkes geladen hatte, aber an und für sich war es Tradition, daß die Ressortoffiziere eines Schiffes dem aufbrechenden I.O. ›zufällig über den Weg liefen‹ und viel Glück auf dem neuen Posten wünschten – ganz besonders, wenn dieser Eins-O ein eigenes Schiff übernahm.
Nur heute ließ sich kein einziger blicken, und ein Schatten zog über Henkes Gesicht. Sie wirkte, als wollte sie etwas sagen, zuckte jedoch nur mit den Schultern und trat in den Lift. Honor gab den Bestimmungsort ein und stellte sich neben sie und verwickelte sie in ein beiläufiges Gespräch. Mit fröhlicher Stimme versuchte sie Henke aus ihrer Enttäuschung zu locken, und tatsächlich konnte sie ihre Freundin zum Lachen bringen, während sie beide auf das Flackern des Positionsanzeigers schauten. Der Lift bewegte sich rasch und leise, doch die Reise dauerte ungewöhnlich lange, denn sie ging nach Beiboothangar Drei. Von allen Hangars der Nike lag Drei in Bezug auf die Kommandantenkajüte am ungünstigsten, aber noch nicht reparierte Gefechtsschäden machten die beiden Vorschiffhangars unbenutzbar.
Sie erreichten ihren Bestimmungsort; die Lifttür öffnete sich, und Honor ließ Henke mit einer schwungvollen Geste den Vortritt. Henke lachte auf und verbeugte sich höfisch zur Antwort; als dann jedoch die Anfangsfanfare des Saganami-Marsches rein und klar aus den Hangarlautsprechern ertönte, riß sie ruckartig den Kopf hoch.
Sie fuhr herum und erblickte mit aufgerissenen Augen die Hangargalerie, und ein Befehl schnitt durch die majestätischen Streicherklänge der Hymne der Royal Manticoran Navy.
»Präsentiert das – Gewehr!«
Hände klatschten mit zackiger Präzision auf Pulserkolben, als die Ehrenwache des Marinecorps gehorchte. Colonel Ramirez und Major Hibson standen dort und sahen zu, wie Captain Tyler, die ranghöchste Marineinfanteristin, die die Schlacht von Hancock überlebt hatte, den Galadegen zum Gruß erhob. Sie und ihre Leute bildeten einen soliden Block aus großartig anzuschauenden schwarz-grünen Uniformen, aber längs der Galerieschotts standen Navyoffiziere, -unteroffiziere und -mannschaften aufgereiht, alle steif in Habt-acht-Stellung, und bildeten eine golden-schwarze Mauer bis zu den Leuten, die an der Mündung der Zugangsröhre zur Seite angetreten waren.
Mit leuchtenden Augen wandte sich Henke zu Honor um.
»Du hast mich absichtlich reingelegt!« beschuldigte sie sie unter dem Schallschutz der Hymne, und Honor schüttelte den Kopf.
»Nicht ich. Die Idee kam von der Crew. Ich habe nur Mac sie warnen lassen, daß du auf dem Weg bist.«
Henke setzte an, um noch etwas zu sagen, doch dann schluckte sie und wandte sich wieder der Galerie zu. Sie straffte die Schultern und marschierte, Honor auf den Fersen, zwischen den starren Reihen hindurch. Schließlich erreichten sie die Zugangsröhre. Commander Chandler kommandierte die Seite und salutierte, als wäre sie auf einer Parade.
Henke erwiderte die Ehrenbezeugung, und während die Musik verebbte, reichte die zierliche Rothaarige, die sie als Ersten Offizier der Nike ersetzte, ihr die Hand.
»Meinen Glückwunsch, Captain Henke«, sagte sie. »Wir werden Sie vermissen. Aber im Namen der Offiziere und der Besatzung der Nike wünsche ich Ihnen allzeit glückliche Fahrt und – gute Jagd.«
»Vielen Dank, Commander.« Henkes Altstimme war plötzlich heiserer als normal, und wieder mußte sie schlucken. »Sie bekommen ein gutes Schiff und gute Leute, Eve. Passen Sie gut auf sie auf. Und« – sie rang sich ein Lächeln ab – »versuchen Sie, den Skipper aus Schwierigkeiten herauszuhalten.«
»Das will ich tun, Ma’am.« Chandler salutierte erneut, dann trat sie zurück, und die Bootsmannspfeifen trällerten den formellen Gruß für einen scheidenden Sternenschiffkommandanten. Henke drückte noch einmal Honors Hand sehr fest, dann trat sie in die Röhre und verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Als das leise Klingeln ertönte, wandte Pavel Young sich vom Fenster ab.
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