Mit Schimpf und Schande
fähig gewesen, die die manticoranischen Ärzte an Honor Harrington vollbracht hatten, und trotzdem konnte er ein leises Bedauern nicht unterdrücken.
Sie wandte sich ihm zu und sah seinen Gesichtsausdruck. Er errötete, als ihr schelmisches Lächeln ihm sagte, daß sie seine Gedanken erraten hatte. Dann schüttelte sie nur den Kopf, und er gab das Lächeln zurück.
Diese Frau unterschied sich sehr von der, die damals Jelzins Stern verteidigt hatte. Damals war sie getrieben und grimmig gewesen – unbeirrbar höflich und doch mit kaltem, blankem Stahl im verbliebenen Auge, während tief in ihr Schmerz und Verlust zuckten und sich wanden. Seiner Meinung nach war sie die gefährlichste Person, der er je begegnet war, als sie ihre beiden beschädigten Schiffe zwischen den Schlachtkreuzer Saladin und einen Planeten voller Menschen stellte, die nicht einmal mit ihrer Königin verbündet waren. Menschen, die ihr Bestes getan hatten, sie zu demütigen und zu verunglimpfen, weil sie wagte, ihre Vorurteile zu verletzen, indem sie die Uniform eines Offiziers trug. Um diesen Planeten zu retten, hatte sie sich einem Kriegsschiff in den Weg gestellt, das mehr masste als ihre beiden beschädigten Schiffe zusammen, und dabei mehr als neunhundert ihrer eigenen Leute verloren.
Die Erinnerung daran beschämte ihn noch immer … und erklärte die Verehrung, mit der seine Crew ihr begegnete. Er selbst verspürte Ehrfurcht, denn er war während der Schlacht als Verbindungsoffizier auf der Brücke von HMS Fearless gewesen, und plötzlich prustete er vor Lachen.
»Was gibt’s?« fragte sie, und er grinste sie an.
»Ich habe nur an etwas gedacht, Mylady.«
»An was?« hakte sie nach.
»Ach, nur daran, wie Sie sich amüsiert hätten, als Ihr Steward an Bord kam.«
»Mac?« Lady Harrington hob eine Augenbraue. »Was war denn mit ihm?«
»Nun, er ist ein Mann, Mylady.« Die zweite Augenbraue hob sich in plötzlichem Verstehen, und Honor Harrington begann verschmitzt zu kichern. »Ganz genau«, gab Brentworth ihr recht. »Das war für einige unserer Leute ein … Schock. Ich fürchte, wir sind noch längst nicht so befreit, wie wir von uns gern annehmen.«
»Gütiger Himmel, das kann ich mir vorstellen!« Das Kichern wurde zu einem leisen Lachen. »Und vor allem kann ich mir vorstellen, wie Mac darauf reagiert hat!«
»O nein, Mylady! Er nahm es ganz gleichmütig hin – sah sie nur an wie ein Sonntagsschullehrer, der einen Haufen Pubertierender erwischt, die sich im Waschraum schmutzige Witze erzählen.«
»Genau das meinte ich. Er wartet bei mir mit dem gleichen Blick auf, wenn ich zu spät zum Abendessen erscheine.«
»Ach, wirklich?« Brentworth lachte, dann nickte er langsam. »Ja, ich kann ihn mir dabei gut vorstellen. Er hängt sehr an Ihnen, Mylady.«
»Ja, ich weiß.« Honor lächelte glücklich und schüttelte den Kopf. »Oh, Mark, da ist noch etwas, was ich Ihnen sagen wollte. Sie sind nun ja selbst ein Senior Captain, und es gibt überhaupt keinen Grund, mich die ganze Zeit ›Mylady‹ zu nennen. Ich heiße Honor.«
Brentworth wäre vor Entsetzen fast aus dem Tritt gefallen. Grayson entwickelte die Modalitäten einer Gesellschaft mit Gleichberechtigung der Geschlechter gerade erst; Brentworth glaubte bei sich, daß die Veränderungen, die Protector Benjamin angeordnet hatte, die meisten zu sehr verwirrten, als daß sie erkennen konnten, wie revolutionär sie wirklich waren. Die Benutzung des Vornamens einer unverheirateten Frau, mit der man nicht verwandt war, hätte nach den alten Sitten eine unverzeihliche Beleidigung bedeutet, selbst wenn die Frau, um die es ging, keine Gutsherrin gewesen sein könnte. Und schon gar nicht diese Gutsherrin!
»Ich … Mylady … ich weiß nicht, ob …«
»Bitte«, unterbrach sie ihn. »Mir zuliebe. Sie müssen mich ja nicht in der Öffentlichkeit so nennen, wenn Sie nicht wollen, aber bei all diesen ›Myladys‹ und ›Gutsherrinnen‹ bleibt mir die Atemluft weg. Begreifen Sie nicht, daß an Bord dieses Schiffes nicht ein Mensch ist, der auch nur im Traum daran denken würde, mich mit dem Vornamen anzusprechen?«
»Aber Sie sind eine Gutsherrin!«
»Das bin ich nicht mein ganzes Leben lang gewesen«, erwiderte sie ein wenig gereizt.
»Nun, ja, das weiß ich, aber …«
Brentworth verstummte, um Klarheit über seine Emotionen zu erhalten. Zum Teil fühlte er sich außerordentlich geschmeichelt, aber trotzdem war es nicht so einfach, wie Honor Harrington zu glauben schien.
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