Mit sich selbst befreundet sein
den Witz zu machen. Einspruch erheben jene Clochards, die eines Tages zu der Überzeugung kamen, dass das Witzeerzählen zur mühsamen Angelegenheit geworden sei. So beschlossen sie, die Witze durchzunummerieren und nur noch die jeweils aktuelle Nummer aufzurufen, worauf alle pflichtschuldigst zu lachen hätten; ein früher Lachclub. Also gaben sie den Witzen Zahlen, es reichte bis zur Nummer 100, und das Spiel konnte beginnen. »101!«, rief da einer. Alle schwiegen und schauten betreten. »Warum lacht ihr denn nicht?«, fragte er vorwurfsvoll: »Das ist ein neuer!«
Die Alternative zum lauthalsen Lachen ist das Lächeln , das kontrollierter und demzufolge nuancierter ausfallen kann. Es ist keine bloße Affektäußerung, sondern entstammt einer bewusst gewählten Haltung, die in der reflektierten Mimik zum Ausdruckkommt. Auf den Lippen liegt es und spielt in Mundwinkeln, mehr noch aber schimmert es aus den Augen. Auf zauberhafte und bezaubernde Weise öffnet es den Menschen, sodass er zugänglich wird für andere; aber es hält, wenn das Selbst will, andere auch auf Distanz, wahrt die Distanz zu einer Situation und kann Ausdruck einer Distanz des Selbst zu sich sein. Die ganze Skala des Lächelns zeigt ein amerikanischer Film (Regie: Mike Newell), der als harmlose Collegestory aus dem Jahr 1953 daherkommt, 2003 aber wohl aus innenpolitischen Gründen entstand, um jungen Frauen den drohenden Verlust ihrer Freiheit in einer neokonservativen Gesellschaft vor Augen zu führen. Julia Roberts als Kunsthistorikerin Katherine Watson verkörpert darin den weiblichen Freigeist, der so sanft wie entschieden sein Befreitsein behauptet, jedoch der Freiheit auch Formen zu geben weiß, zu denen das souveräne Lächeln gehört: Mona Lisas Lächeln . So entsteht eine wahre Enzyklopädie des Lächelns, denn alle Formen werden von der großartigen Schauspielerin mit dem charakteristischen Mund durchgespielt, changierend oft in einem Moment: schüchtern, verlegen, angedeutet, abwartend, aufgesetzt, halbherzig, nervös, erstaunt, verschmitzt, ironisch, freundlich, freudig, traurig, vertrauensvoll, zärtlich, kokettierend, lasziv, verschwörerisch, verständnisvoll, einverstanden, nachdenklich, tapfer, herausfordernd, bestimmt, überlegen, überheblich, wissend, besorgt, befreit, verzweifelt, abweisend, missbilligend, nachsichtig, wohlwollend, amüsiert, strahlend, triumphierend. Das Lächeln kann eiskalt und geradezu »bewaffnet« sein, aber auch warmherzig und entwaffnend. So fein kann es sein, dass es kaum mehr wahrnehmbar ist und nicht mit Gewissheit sich sagen lässt, ob es überhaupt ein Lächeln ist: Für einen Moment gelingt Julia Roberts dieser seltsame Ausdruck Mona Lisas, just als sie vor einer Reproduktion des Bildes von Leonardo da Vinci sitzt. Sie lächelt, weil sie frei ist. Ein schmerzliches Lächeln vielleicht, in dem Freude und Wehmut zugleich zum Ausdruck kommen: Freude über die Freiheit, Wehmut überihre Begrenztheit. Das Lächeln birgt das Traurigsein schon in sich, perfekter Ausdruck der Heiterkeit. Der Gegenpol zum Lachen aber ist das Weinen.
Kunst des Weinens und des Traurigseins
»Es ist so geheimnisvoll, das Land der Tränen«, heißt es in Antoine de Saint-Exupérys Buch, als der kleine Prinz bei Einbruch der Dunkelheit plötzlich in ein Schluchzen ausbricht. In diesem geheimnisvollen Land wird das eigenartige Gefühl des Traurigseins empfunden, dem offenbar anthropologische Bedeutung zukommt, wie Poeten längst wissen, aber auch neurobiologische Forschungen ergeben: Während die Hirnstrukturen, die Emotionen auslösen, meist in älteren Regionen unterhalb der Großhirnrinde liegen, scheint die Aktivierung eines Bereichs in der historisch jüngsten Hirnregion, dem präfrontalen Cortex, »eine Besonderheit der Trauer zu sein« (Damasio). Zumindest das profunde Traurigsein darf als spezifisch menschliches Gefühl gelten, ein geradezu metaphysisch zu nennendes Gefühl, denn sein Grund ist immer ein Wissen um Begrenztheit, eine Vergegenwärtigung der Vergänglichkeit , sei es bezogen auf das gesamte Leben oder auf eine spezifische Lebenssituation. Umso problematischer erscheint der Versuch, um des »Positiven« willen das Traurigsein unmöglich zu machen, ein gedankenloser Verzicht auf die Hälfte des Lebens, sodass der Rest keinen Anspruch auf Fülle mehr machen kann. Bevor Traurigsein und Weinen allzu leichtfertig negiert werden, kommt es darauf an, genauer hinzusehen, worum es sich eigentlich handelt.
Das
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