Mit verdeckten Karten
fahren, und dann nach ihrer Rückkehr. Natürlich hatte sie zurückweichen müssen, denn sie trug ja unter dem Pullover, hinter dem Bund ihrer Jeans, einen Revolver.
Einen Revolver, aus dem vor kurzem geschossen worden war. Einmal oder öfter? Im Magazin fehlte eine Patrone. Wohin war Kira in der Woche davor gefahren?
Eine ganze Flut von Fragen brach über Platonow herein, zuerst versuchte er, wenigstens irgend etwas zu verstehen, aber dann begriff er, daß es darum gar nicht ging.
Er befand sich in der Wohnung einer kaltblütigen Mörderin. Er hatte sein Leben in ihre Hände gelegt, seine Freiheit. Es war ihm unmöglich, ihre Wohnung zu verlassen, da er bereits seit zehn Tagen auf der landesweiten Fahndungsliste stand und jeder Milizionär ein Foto von ihm zur Hand hatte. Er konnte nicht auf die Straße hinausgehen und sich freiwillig seiner Verhaftung ausliefern, denn in diesem Fall würden die Ermittlungsunterlagen, die er bei sich hatte, in wer weiß welche Hände geraten, und die Sache würde schneller im Orkus verschwinden, als man Zeit hatte, sich auch nur umzusehen.
Aber auch hierzubleiben, war unheimlich. Wenn Kira eine geistesgestörte Mörderin war, die einmal pro Woche einen jungen Mann umbrachte, dann konnte ihr in jedem Moment etwas so Lustiges einfallen, daß Platonow gewiß nicht mehr dazu kommen würde, sich selbst totzulachen.
Was sollte er tun? Den Revolver verstecken? Und wenn sie noch eine zweite Waffe besaß? Sie würde bemerken, daß der Revolver verschwunden war, daß Platonow ihn gefunden hatte, und dann . . .
Alles so lassen, wie es war? Und zu Gott flehen, daß bis zum nächsten Samstag alles vorbei sein würde? Dann würde er diese Wohnung verlassen können, zur Arbeit gehen und an entsprechender Stelle über Kira berichten.
Aber wie konnte er Kira verraten? Eine Frau, die ihm geglaubt, die ihn in ihre Wohnung mitgenommen hatte, die für ihn kochte und gewissenhaft alle seine Anweisungen erfüllte. Eine Frau, die ihm vielleicht das Leben gerettet hatte.
Was sollte er tun? Kira konnte jeden Augenblick nach Hause kommen, er mußte jetzt sofort eine Entscheidung treffen.
8
Kira saß auf der Bank, ohne den kalten Sprühregen zu bemerken, und dachte darüber nach, wie sie ihr Leben retten sollte. Vor zwei Stunden hatte sie den Auftrag bekommen, einen Mann und eine Frau zu ermorden, die in einer Zweizimmerwohnung im zweiten Stock des Hauses wohnten, in dem sich das Geschäft »Gaben des Meeres« befand. Sie hatte den Auftrag bekommen, Dmitrij Platonow zu ermorden und sich selbst.
Ihre ehemalige Schwiegermutter hatte teilweise recht gehabt, Kira verließ sich in der Tat sehr stark auf ihr Äußeres und war bereit, sich die Segnungen des Lebens über das Bett zu erkaufen. Das war an und für sich eine durchaus verbreitete Praxis, aber aus irgendeinem Grund hatte Kira geglaubt, daß niemand auf die Idee käme, ausgerechnet von ihr so schlecht zu denken. Doch die ständigen Monologe der Schwiegermutter hatten sie davon überzeugt, daß ihre wenig originelle Einstellung zum Leben für niemanden ein Geheimnis war. Das hatte Kira damals ziemlich verwirrt, denn sie wußte sehr gut, daß sie nicht gerade ein Ausbund an Lebenstüchtigkeit und Intelligenz war und kaum fähig, es aus eigener Kraft im Leben zu etwas zu bringen.
Nachdem sie ihrem Mann und ihrer verhaßten Schwiegermutter zum Trotz ein Studium begonnen hatte, ergab sich für sie ganz zufällig die Teilnahme an einem Wettbewerb im Sportschießen. Ihr Institut mußte eine Mannschaft zusammenstellen, und eine der Studentinnen, die für diese Mannschaft vorgesehen war, brach kurz vor dem Wettbewerb ihr Studium in Moskau ab und kehrte nach Hause zurück, zu ihren Eltern in die entlegenste Provinz. Der Trainer redete lange auf Kira ein und versuchte, sie davon zu überzeugen, daß sie bei dem Wettbewerb nichts zu tun haben würde. Sie würde nur zur Ersatzmannschaft gehören, und die Gefahr, daß alle Mitglieder der Ersatzmannschaft zum Einsatz kämen und damit schließlich auch sie, stünde eins zu einer Million.
Doch am Ort des Wettbewerbs angekommen, erschien Kira mit den anderen zusammen beim Training und äußerte den Wunsch, auch einmal schießen zu dürfen. Man gab ihr eine Pistole, erklärte ihr in zwei Sätzen, was zu tun war, wie man zielen und den Abzug betätigen mußte, und danach konnte niemand fassen, daß jemand, der zum ersten Mal in seinem Leben eine Waffe in die Hand genommen hatte, ein solches Resultat erzielen
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