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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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jede ihrer Gesten. Der Riegel an der Innenseite der Tür ratschte, Kira hatte das Bad verlassen. Gleich darauf verstummte das Geräusch ihrer Schritte, offenbar war sie auf dem Flur stehengeblieben. Platonow begriff, daß sie zu ihm in die Küche kommen wollte und sich nicht entschließen konnte. Endlich trat sie ein, ohne das Licht einzuschalten.
    »Dima«, fragte sie flüsternd, »schläfst du schon?«
    »Nein«, antwortete er mit lauter Stimme.
    Er wußte aus Erfahrung, daß er für den Fall, daß die Frau jetzt eine Annäherung vorhatte, laut und deutlich mit ihr sprechen mußte, auf keinen Fall mit gesenkter Stimme, um sofort jede Intimität zu zerstören. Dunkelheit und Geflüster waren die besten Freunde der Versuchung und die größten Feinde der Keuschheit.
    Überraschenderweise schaltete Kira das Licht an und setzte sich auf einen Küchenhocker.
    »Willst du mich etwas fragen?« erkundigte sich Dmitrij.
    »Ja.« Sie druckste einen Moment herum. »Weißt du, das, was du mir erzählt hast . . . eigentlich klingt es ziemlich unwahrscheinlich. Ich möchte dir gern glauben, aber . . . aber ich kann es nicht. Verzeih mir, Dima. Aber ich glaube dir nicht.«
    Er erhob sich mit einem Ruck und stellte die Füße auf den mit Linoleum bedeckten Fußboden.
    »Soll ich gehen?« fragte er kalt.
    »Auf keinen Fall, das habe ich überhaupt nicht gemeint. Du bist in Not, das ist offensichtlich, und du hast keinen Ort für die Nacht. Ich habe dir meine Hilfe angeboten, und ich habe nicht vor, dieses Angebot zurückzunehmen. Ich habe einfach nur das Gefühl, daß du mich angelogen hast und daß deine Not in Wirklichkeit irgendeine ganz andere ist.«
    »Ich habe dir die Wahrheit gesagt. Wie kann ich dich davon überzeugen?«
    »Arbeitest du wirklich im Innenministerium?«
    »Ja, ich arbeite wirklich im Innenministerium.«
    »Könntest du mir deine Papiere zeigen?«
    »Aber sicher«, sagte Platonow erleichtert. »Ich hätte das gleich am Anfang tun sollen. Verzeih!« Er streckte seine Hand aus und holte seinen Dienstausweis aus dem Jackett, das über der Stuhllehne hing. »Hier, bitte schön.«
    Kira las den Dienstausweis aufmerksam durch und lächelte.
    »Du bist also Oberstleutnant.«
    »Ja, warum? Sehe ich nicht so aus?«
    »Ich habe in meinem Leben noch nie einen richtigen Oberstleutnant aus dem Innenministerium gesehen, nur im Kino. Bist du mir jetzt böse?«
    »Aber nein, es ist alles in Ordnung. Es wäre seltsam gewesen, wenn du mir blindlings geglaubt hättest, nachdem wir uns erst seit ein paar Stunden kennen.«
    In Kiras Blick brannte wieder das Feuer, das Dmitrij schon kannte, die Farbe ihrer Augen erinnerte ihn an glühend heiße, flüssige Schokolade.
    »Soll ich dich morgen früh wecken, oder wachst du von selbst auf?« fragte sie, als sei nichts geschehen.
    »Wenn du aufstehst, werde ich sofort von allein wach. Ich habe einen sehr leichten Schlaf.«
    »Dann gute Nacht. Ist dir kalt? Soll ich dir noch eine Decke bringen?«
    »Nein, danke, nicht nötig. Ich fühle mich sehr gut bei dir, wirklich. Ich danke dir.«
    Kira schaltete das Licht aus und verließ die Küche. Dmitrij hörte, wie sie den Wandleuchter über dem Sofa anknipste und sich hinlegte. Das war’s, dachte er, ich habe ein Asyl gefunden. Jetzt muß ich darüber nachdenken, wie es weitergehen soll, welche Schritte ich unternehmen muß, um aus dieser unseligen Geschichte herauszukommen.
    3
    Die Witwe von Jurij Jefimowitsch Tarassow rang mühsam um Fassung. Sie beantwortete Jura Korotkows zahllose Fragen nach ihrem verstorbenen Mann, schilderte ihm ausführlich seinen dienstlichen Werdegang, erzählte von seinen Freunden und Bekannten, beschrieb seinen Charakter und seine Gewohnheiten.
    »Sagen Sie, Klawdija Nikiforowna, hatten Sie nie den Eindruck, daß es in Jurij Jefimowitschs Leben Dinge gab, in die er Sie nicht einweihte?«
    »Nein, das sagte ich Ihnen bereits. Wir haben mehr als dreißig Jahre zusammengelebt, Sie verstehen selbst. . .«
    Es sah so aus, als würde sie gleich zu weinen anfangen, aber sie schluckte die Tränen tapfer hinunter.
    »Haben Sie nie bemerkt, daß Jurij Jefimowitsch vor irgend etwas Angst hatte? Vor irgendeinem Ereignis vielleicht oder vor einem Menschen?«
    »Er hatte Angst vor einem Schlaganfall. Davor, ein Krüppel zu werden. Wissen Sie, er hatte erhöhten Blutdruck und fürchtete sich sehr vor . . . Er hat strenge Diät eingehalten. Aber ich weiß, daß Sie nicht danach fragen.«
    »Und warum haben Sie drei Hunde?«

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