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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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offenbar gar nicht vor aufzuwachen, offenbar bekämen sie gutes Schmiergeld für ihren hartnäckigen Dornröschenschlaf. Mein Chef fängt also an, mir Fragen zu stellen, und will die Unterlagen über meine Ermittlungen sehen. Aber wenn es um Gewinne von solcher Größenordnung geht, dann weiß ich aus Erfahrung, daß die Fäden ganz oben geknüpft werden und daß man niemandem glauben darf, nicht einmal seinem Chef. Jeder kann sich als Verräter oder Spitzel erweisen, und wenn es sich um einen neuen Mitarbeiter handelt, dann besteht immer die Gefahr, daß er von der anderen Seite eingeschleust wurde. Genau so war es ja auch bei meinem Jurij Jefimowitsch, der stellvertretender Abteilungsleiter in der Protokollabteilung des Staatlichen Zentrums für Internationale Beziehungen wurde. Ich durfte meine Unterlagen also auf keinen Fall preisgeben. Ich hatte so viel Zeit und Mühe auf diese Sache verwandt, ich hätte mir nie verziehen, wenn das alles jetzt in den Orkus gegangen wäre. Und außerdem dachte ich in diesem Moment auch an Slawa. Ich war sicher, daß er inzwischen längst wieder in Uralsk war. Verstehst du, ein junger Mitarbeiter aus der Provinz, und dann so eine Geschichte. Ich bin sowieso schon im Hauptkomitee, weiter kann ich nicht mehr kommen, obwohl ich natürlich auch nicht in die Grube fallen will, aber Slawa war noch am Anfang, er hatte seine Karriere noch vor sich. Kurz, ich stellte mich stur und murmelte irgendwas Unverständliches, nur um meinem Chef die Unterlagen nicht zeigen zu müssen. Und plötzlich eröffnet er mir, daß auf das Konto der Firma, in der meine Frau arbeitet, eine Summe von zweihundertfünfzigtausend Dollar eingegangen ist. Und weißt du, von wem? Von der Firma Artex. Das Erbe des Verstorbenen, sozusagen. Angeblich hat man mir das Geld dafür überwiesen, daß ich die Sache in Uralsk vertusche und schön langsam einschlafen lasse. Ich war noch gar nicht wieder zu mir gekommen nach dieser Eröffnung, als mein Chef mir mitteilte, daß Slawa Agajew ermordet wurde. Man hat gesehen, wie wir zusammen das Gebäude des Ministeriums verlassen haben und zu mir ins Auto gestiegen sind, und eine halbe Stunde später hat man Slawa ermordet in der Wolodarskij-Straße aufgefunden. Er hatte keinerlei Unterlagen bei sich, sie waren verschwunden. Mein Chef sah mich mit einem unguten Blick an, und ich begriff, daß er mich nicht nur der Bestechlichkeit, sondern auch des Mordes verdächtigt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich diesen Verdacht entkräften sollte. Wie war das Geld auf das Firmenkonto meiner Frau gekommen? Wer hatte Jurij Jefimowitsch umgebracht? Wer hatte Slawa erstochen? Und mein Chef ließ mir ganze zehn Minuten Zeit. Ich verließ sein Büro, angeblich, um die Unterlagen zu holen, aber tatsächlich lief ich zum Ausgang und stieg in die nächste Metro. Bis zum Abend hatte man wahrscheinlich die Fahndung nach mir eingeleitet, seit heute morgen läuft sie mit Sicherheit. Ich kann die Stadt nicht mehr verlassen, und ich will es auch nicht, weil ich nicht einfach nur untertauchen, sondern herausbekommen will, was passiert ist. Ein Alibi für die Zeit, in der Slawa ermordet wurde, habe ich nicht. Ich saß zu dieser Zeit allein im Auto. Daß ich von dem Geldeingang der Firma Artex nichts weiß, kann ich ebenfalls nicht beweisen. Sobald sie mich finden, stecken sie mich sofort ins Loch, und dann werde ich nie mehr etwas erfahren und nie mehr etwas beweisen können, weil dann die Unterlagen in fremde Hände gelangen werden und alles zusammenfällt wie ein Kartenhaus. Und das will ich nicht. Wenn man mit einer Sache so lange beschäftigt ist, beginnt man, sie wie ein mit eigenen Händen geschaffenes Kunstwerk zu betrachten. Und außerdem bin ich ein ganz normaler Mensch, ich will nicht ins Gefängnis. Mit diesem ganzen Elend im Nacken stand ich in der Metro, als wir uns getroffen haben. Was sagst du zu meiner Geschichte?«
    »Ich weiß nicht.«
    Kira verstummte, sie kratzte den Rest Konfitüre aus dem Schälchen, schob den Löffel in den Mund, leckte ihn ab und begann, mit ihm auf ihren kleinen geraden Zähnen herumzuklopfen.
    »Und worin siehst du meine Rolle in dieser Geschichte?«
    »Du mußt meine Stimme werden, mein Ohr und mein Auge. Ich kann das Haus nicht verlassen, weil man mich sucht. Ich kann aus deiner Wohnung nirgends anrufen, weil es immer möglich ist, daß der Teilnehmer eine Rufnummernbox besitzt, die deine Nummer anzeigen würde, und dann dauert es keine drei Minuten, bis die

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