Mit verdeckten Karten
Gesicht.
»Ich muß mit offenen Karten spielen, Freunde«, sagte er. »Es hat keinen Sinn, euch etwas zu verheimlichen. Ich weiß, daß Dima so einen Diplomatenkoffer besitzt.«
»Bist du ganz sicher?« fragte Korotkow nach.
»Ja, absolut sicher«, erwiderte Sergej mit einem Seufzer. »Es ist ein Geschenk meiner Schwester Lena. Ich besitze genau denselben.«
»Dann bring ihn doch bitte mit«, bat Nastja, »damit wir ihn Schurygin zeigen können. Noch besser wäre es natürlich, wenn du dir bei Platonows Frau seinen eigenen ausleihen könntest.«
Nastja wußte nicht so recht, ob sie Russanow in ihren Verdacht bezüglich Tarassows Ermordung einweihen sollte. Aber schließlich mußte sie ja nicht mit der Tür ins Haus fallen.
»Welche Kontakte hast du seit dem letzten Montag mit Platonow gehabt? Kannst du dich daran erinnern?« fragte sie mit unschuldiger Stimme.
»Seit dem Montag? Da muß ich nachdenken,« sagte Russanow unsicher. »Am Montag morgen habe ich mit ihm telefoniert . . .«
»Wann? Die genaue Uhrzeit bitte.«
»Vera war schon zur Arbeit gegangen, sie verläßt das Haus etwa Viertel nach acht. Danach habe ich meine Hose gebügelt, das hat etwa eine Viertelstunde gedauert. Anschließend führte ich zwei Telefonate, und als ich gerade aus dem Haus gehen wollte, rief Dima an. Das muß demnach gegen neun Uhr gewesen sein, vielleicht fünf vor neun. Ungefähr so.«
»Worüber habt ihr gesprochen?
»Über Lena. Sie hat bald Geburtstag, und Dima wollte sich mit mir wegen eines Geschenks beraten.«
»Wozu braucht er dafür deinen Rat?« erkundigte sich Lesnikow erstaunt. »Er kennt deine Schwester doch lange genug, um selbst zu wissen, was sie sich wünscht.«
»Die Sache ist die, daß wir beide wissen, daß Lena Granate mag, und im letzten Jahr haben wir ihr beide fast das gleiche Schmuckset geschenkt. Dima wollte sich mit mir absprechen, damit uns dieses Mal nicht dasselbe passiert.«
»Von wo aus hat er dich angerufen? Von zu Hause?«
»Wahrscheinlich. Ich habe ihn nicht danach gefragt, aber ich nehme es an.«
»Warum hat er dich überhaupt zu Hause angerufen, noch dazu so früh am Morgen? Ihr arbeitet doch beide im selben Gebäude, da hättet ihr die Frage doch auch tagsüber im Büro klären können.«
»Dima wollte sich auf die Suche nach einem Geschenk machen und erst danach ins Büro kommen.«
»Gut. Wie ging es weiter?«
»Im Laufe des Tages habe ich ihn mehrmals im Ministerium gesehen. Wir haben unsere Büros auf verschiedenen Etagen, aber auf den Korridoren begegnen wir einander ständig, und natürlich schauen wir auch des öfteren beieinander vorbei.«
Russanow fuhr fort zu berichten, wann, wo und wie oft er seinen Freund am Montag, Dienstag und Mittwoch gesehen hatte, worüber sie gesprochen hatten, wie er ausgesehen hatte, ob er aufgeregt gewesen war oder irgendwie deprimiert. Nastja machte sich Notizen in ihrem Block, es sah ganz danach aus, als hätte Platonow für den Montag morgen kein Alibi. Im Gegenteil, der Verdacht gegen ihn verstärkte sich. War es denkbar, daß Platonow seinen Freund gleich nach dem Mord an Tarassow angerufen hatte? Natürlich war das denkbar. Im Staatlichen Zentrum für Internationale Beziehungen gab es genug Telefone, unter anderem auch öffentliche. Außerdem befanden sich in dem Gebäude zahlreiche teure Geschäfte, dort konnte man im Handumdrehen ein Geschenk für eine Geliebte besorgen. Platonow hatte das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden, er beseitigte einen Informanten, der zu viel wußte, kaufte schnell ein Geschenk für seine Freundin und fuhr in aller Ruhe zur Arbeit. Für so etwas mußte man natürlich über große Selbstbeherrschung und eiserne Nerven verfügen, aber wer sagte, daß Platonow nicht darüber verfügte?
Stas Schurygin, der Chauffeur, hatte gesehen, wie das Auto, das Agajew zur Wolodarskij-Straße gebracht hatte, wieder weggefahren war. Aber Igor Lesnikow hatte natürlich recht, Platonow konnte das Auto hinter der nächsten Ecke abgestellt haben und zu dem Haus zurückgekehrt sein, in dem Agajew verschwunden war und aus dem er einige Minuten später wieder herauskam. Auf jeden Fall besaß er einen bordeauxroten Diplomatenkoffer. Und am Mittwoch morgen war er irgendwie bekümmert und zerstreut gewesen. Alles paßte zusammen. Ein perfektes Bild.
2
Stas Schurygin war nicht gerade begeistert, Lesnikow wiederzusehen, aber er ließ sich seinen Unmut nicht anmerken.
»Haben Sie noch Fragen?« erkundigte er sich, während er
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