Mit verdeckten Karten
zu Larissa fährt man genau fünfundzwanzig Minuten.«
»Laß uns gleich losfahren!«
Kabanow erhob sich schwerfällig, schloß die Papiere im Safe ein, überlegte einen Moment und holte ein Medikament aus der Schublade seines Schreibtisches.
»Fühlen Sie sich nicht wohl, Vitalij Nikolajewitsch?« fragte der Leibwächter besorgt. »Soll ich Alexander Jegorowitsch anrufen, damit er Sie morgen früh mal kurz anschaut?«
»Nicht nötig. Ich nehme das Mittel nur für alle Fälle mit, falls ich bei Larissa etwas Falsches esse. Aber Jegorowitsch kannst du trotzdem anrufen, er soll sich diese Woche mal Zeit nehmen. Meine Swetlana klagt über Schmerzen in der Seite, womöglich ist es die Leber. Sie trinkt zehn Tassen Kaffee am Tag und kaut ständig Schokolade, und dann wundert sie sich, daß sie Schmerzen hat. Ihr ist mit nichts beizukommen.«
Kabanows Tochter Swetlana hatte den Zug zum Standesamt verpaßt und war eine ältliche Jungfer geworden, aber sie schien nicht im geringsten darunter zu leiden. Sie lungerte den ganzen Tag auf dem Sofa herum, las Bücher und stopfte sich mit Schokoladenpralinen voll.
Während der ganzen Fahrt hing Vitalij Nikolajewitsch schweigend seinen Gedanken nach. Als sie das Restaurant erreicht hatten, wuchtete er seinen schweren Körper mühsam aus dem Auto und begab sich langsam zum Eingang. Larissa kam ihm sofort entgegengelaufen, sie gab ihm einen Schmatz auf die Wange und hakte sich bei ihm unter. Sie wußte, daß Vitalij Nikolajewitsch, die Lokomotive, nur in höchst vertraulichen Fällen mit Gästen zu ihr kam, sie tat alles, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen, aber dafür erlaubte sie sich im Umgang mit dem mächtigen Mafioso eine gewisse Leichtigkeit und sogar Familiarität.
»Sie sehen blendend aus, Vitalij Nikolajewitsch«, flötete sie, während sie Kabanow in das Separee im ersten Stock begleitete. »Ich wollte, ich würde in Ihrem Alter auch noch so aussehen wie Sie.«
Er gab ihr einen Klaps auf den Hintern und legte seinen Arm um ihre Taille.
»Bis zu meinem Alter ist es noch weit hin für dich, und mit deinen dreißig bist du frischer als Morgentau. Womit wirst du uns heute bewirten?«
»Mit allem, was Ihnen schmeckt. Gena hat heute morgen angerufen und Bescheid gesagt, daß Sie kommen. Insofern hatten wir genug Zeit, um unseren Speiseplan auf Ihren Geschmack abzustimmen.«
»Gut gemacht.« Er tätschelte wohlwollend ihre Schulter. »Wenn du weiterhin so brav bleibst, werde ich einen Mann für dich finden, der wie ein Fels in der Brandung ist.«
»Und wohin mit dem jetzigen?« lachte sie. »Soll ich ihn etwa ersäufen wie eine Katze?«
»Wir werden auch für ihn etwas Passendes finden, damit er nicht zu kurz kommt. Wo möchtest du lieber leben, in Europa oder in Amerika?«
»Am liebsten in Singapur. Man sagt, daß dort alles unwahrscheinlich sauber und ordentlich ist. Und daß es keine Kriminalität gibt. Können Sie das für mich einrichten?«
»Die Lokomotive kann alles, du mußt es nur wollen. Uff, zwanzig Stufen, und ich bin schon außer Atem. Mit meiner Gesundheit ist nicht mehr viel los, du hast keinen Grund, mich alten Mann zu beneiden.«
Im Separee ließ Vitalij Nikolajewitsch sich auf seinem Lieblingssofa nieder, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. Er wollte sich auf das bevorstehende Gespräch konzentrieren, wissend, daß das Treffen mit dem Mann, den Trofim ihm schickte, nichts Angenehmes verhieß. Kabanow stand bis an sein Lebensende in Trofims Schuld und beglich diese Schuld mit Diensten, die ihm jedes Mal graue Haare wachsen ließen und ihn schlaflose Nächte kosteten. Doch er konnte Trofim nichts abschlagen, in ihren Kreisen existierten Gesetze, deren Nichtbeachtung gleichbedeutend war mit dem Tod.
Der Gast erschien pünktlich um acht, auch die Pünktlichkeit gehörte zu den unumstößlichen Regeln seines Milieus. Der Mann war groß und schlank, er wirkte sehr sportlich, obwohl er kaum jünger zu sein schien als Kabanow.
»Ich heiße Vitalij Wassiljewitsch«, stellte er sich vor, »wir sind Namensvettern.«
»Sehr erfreut«, erwiderte Kabanow zurückhaltend. »Bitte nehmen Sie Platz!«
Larissa bediente ihre Gäste höchstpersönlich, Kellner waren in dem Separee nicht zugelassen. Während sie die Vorspeisen servierte und die Flaschen öffnete, wechselten Kabanow und sein Gast belanglose Sätze miteinander. Als Larissa den Raum verlassen hatte, übersprang Kabanow das vorschriftsmäßige Ritual des Anstoßens und begann bedächtig zu
Weitere Kostenlose Bücher