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Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Titel: Mit Worten kann ich fliegen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Draper
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statt hier mit dreißig Kindern, die mich anstarrten.
    Endlich stand ein Mädchen von ihrem Platz auf und kam zu meinem Rollstuhl herüber. Sie ging in die Hocke und sah mir direkt ins Gesicht. Dann lächelte sie. Es war das Mädchen mit den langen Haaren, die seinen Freunden böse Blicke zugeworfen hatte, weil sie gelacht hatten.
    »Ich heiße Rose«, sagte sie mit sanfter Stimme.
    Ich erwiderte ihr Lächeln und gab mir wirklich Mühe, nicht zu kicken oder zu grunzen oder einen Laut von mir zu geben, der sie abschrecken würde. Ich hielt die Luft an und dachte an etwas Stilles, Ruhiges wie zum Beispiel Meereswellen. Es funktionierte. Ich atmete tief und langsam durch, dann deutete ich auf meiner Tafel auf Danke . Rose schien zu verstehen.
    Ich zeigte ihr, dass ich meinen Rollstuhl selbst fahren konnte und rollte an die Stelle, wo sie gesessen hatte. Wir saßen den Rest der Stunde zusammen. Und ich machte überhaupt nichts Peinliches! Es war viel zu schnell vorbei.
    Seitdem darf unsere kleine Klasse von Ausgestoßenen immer mittwochs an Mrs Lovelaces Musikunterricht teilnehmen. Das ist super!
    Jill, Ashley und Carl wurden irgendwann auch Teil der Gruppe. Jeder von uns bekam einen »Paten« zugewiesen, der neben uns sitzt und unsere Kontaktperson ist.
    Nachdem sie Ashley kennengelernt hatten, rissen sich die Mädchen darum, ihre Patin zu werden. Wahrscheinlich haben sie das Gefühl, mit einer hübschen, kleinen Puppe zu spielen, aber Ashley scheint die Aufmerksamkeit zu genießen.
    Claire und Molly bekamen irgendwann ihre Stühle zurück, haben sich aber bis heute nicht dazu durchgerungen, für irgendjemanden Pate zu stehen. Doch damit habe ich kein Problem.
    Elizabeth und Jessica sind bei Gloria und Maria geblieben. Jill sitzt zufrieden neben einem Mädchen namens Aster Cheng. Rodney kommt tatsächlich in der Pause rüber und spricht mit Freddy. Manchmal schiebt er Freddy in seinem Rollstuhl richtig schnell. Freddy liebt das.
    Und ich darf jeden Mittwoch neben Rose sitzen. Dienstags kann ich kaum schlafen, weil ich so aufgeregt bin. Am Mittwochmorgen lasse ich meine Mutter meine schönsten Kleider raussuchen – coole Outfits, wie die anderen Kinder sie tragen. Ich kreische sie an, bis sie genau die richtige Kombi hat. Ich achte darauf, dass sie mir die Zähne putzt, damit mein Atem nicht stinkt.
    Ich denke immerzu an Rose. Ich habe Angst, dass sie ihre Meinung ändern und mich nicht mehr mögen könnte. Aber Rose spricht mit mir wie zu jemandem, der versteht, und versucht auch, hinter das zu kommen, was ich sage.
    Eines Tages zeigte ich auf meiner Kommunikationstafel auf neu und Schuhe und hübsch , dann nach unten auf ihre Füße, um sie wissen zu lassen, dass mir ihre neuen Sneakers aufgefallen waren und mir gefielen. Als Erstes schien sie überrascht, dass ich zu so etwas in der Lage war. Vor allem da es manchmal lange dauert, bis ich es schaffe, meine Gedanken mithilfe meiner Tafel mitzuteilen. Einmal zeigte ich auf Musik und schlecht und stinkt , dann begann ich zu lachen. Zunächst kapierte Rose es nicht. Also zeigte ich noch mal auf die Wörter, dann deutete ich auf Mrs Lovelace, die irgendeine Jazzmusik auf dem CD-Player laufen ließ. Mir geht es wie Mom – ich bin kein besonders großer Jazzfan; die Musik verwirrt mich, weil sie keine eingängige Melodie hat.
    Rose begriff es schließlich und sagte: »Oh! Du magst keinen Jazz? Ich auch nicht!«
    Wir lachten beide so laut, dass Mrs Lovelace ihren Finger an die Lippen legen musste, um uns zur Ruhe zu ermahnen. Noch nie in meinem Leben hatte mir ein Lehrer sagen müssen, dass ich still sein soll, weil ich während des Unterrichts mit jemandem geschwatzt habe! Es war das beste Gefühl der Welt! Ich fühlte mich wie der Rest der Kinder.
    Manchmal erzählt Rose mir Geheimnisse. Ich weiß, dass sie Fingernägel kaut und Milch hasst. Sie geht jeden Sonntag in die Kirche, schläft dort aber ein, bis es vorbei ist. Ich auch. Sie hat eine jüngere Schwester, genau wie ich. Sie mag sogar Countrymusik. Manchmal erzählt sie mir von Shoppingtouren mit ihren Freunden ins Einkaufszentrum.
    Es wäre so toll, so etwas machen zu können.

Kapitel 12
    Bis Ende Oktober war unser Integrationsprogramm erweitert worden. Maria und Jill nehmen jetzt am Kunst- und Sportunterricht teil und Freddy und Willy gehen zum Sachkundeunterricht. Und ich? Für mich ist es das allererste Mal in meinem Leben, dass ich das Klassenzimmer wechseln darf, um an verschiedenen Unterrichtsstunden

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