Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)
teilzunehmen!
Wenn jetzt die Glocke klingelt, frage ich mich nicht mehr, was sich dort draußen in den Fluren abspielt, sondern ich bin auch dort draußen. Es ist genial.
Manchmal winken mir Kinder zu oder rufen: »Wie läuft’s?« Ab und zu geht sogar jemand mit mir zur nächsten Stunde. Cool.
Aber »Integration« heißt nicht, dass ich in
alles
integriert bin. Normalerweise sitze ich hinten im Raum und werde schier verrückt, weil ich die Antworten weiß und sie niemandem sagen kann.
»Wie lautet die Definition des Wortes ›Menschenwürde‹?«, fragte eine meiner Lehrerinnen vor ein paar Tagen. Natürlich wusste ich es, also hob ich meine Hand. Aber ich bin nicht in der Lage, mehr als eine unscheinbare Bewegung zu machen, daher bemerkte die Lehrerin es nicht. Und selbst wenn sie mich aufgerufen hätte, was dann? Ich kann die Antworten schlecht in Brüllern hervorstoßen. Es ist echt frustrierend.
Am Elternsprechtag Anfang des Monats kamen meine Eltern, um Mrs Shannon und die anderen Lehrer kennenzulernen. Statt mich irgendwo in einer Ecke mir selbst zu überlassen, zog mich Mrs Shannon in den Kreis der Lehrer, die in das Integrationsprogramm involviert sind. Sie ist so klasse!
Sie tätschelte die Armlehne meines Rollstuhls und lächelte. »Dieses Kind hat ordentlich was in der Birne! Sie wird der Star in unserem Programm sein.«
Wie immer kreischte und strampelte ich. Ich glaube, ich hätte sie geküsst, wenn ich gekonnt hätte, aber das wäre wahrscheinlich eine ziemlich schlabberige Angelegenheit gewesen.
»Nun, es ist an der Zeit, dass endlich jemand erkennt, was wir schon lange wissen«, sagte mein Dad zu Mrs Shannon. »Wir sind wirklich dankbar, dass Sie ihr die Chance geben zu zeigen, was in ihr steckt.«
Als Mom erfuhr, dass mir ein »Schulbegleiter« zugeteilt worden war – eine Hilfskraft ganz für mich allein –, war sie ausgesprochen zufrieden. »Endlich!«, sagte Mom erleichtert. »Darum bitten wir schon seit Jahren.«
»Zeitraubender Papierkrieg, verbunden mit hohen Kosten. Ein starres System, das nicht auf gesunden Menschenverstand reagiert. Es tut mir so leid«, antwortete Mrs Shannon und schüttelte den Kopf. »Ich versuche, für alle Schüler in H-5 die Hilfeleistungen zu kriegen, die sie brauchen. Aber eine Hilfskraft für Melody hatte ich ganz oben auf meine Liste geklatscht. Mal sehen, wie’s läuft. Ich glaube, wir werden ein ganz wunderbares Schuljahr haben!«
So cool , deutete ich auf meiner Tafel.
Eine Hilfskraft! Wow. Ihre Aufgabe würde es sein, mich zu den Schulstunden zu bringen, neben mir zu sitzen und mir zu helfen, am Unterricht teilzunehmen. Ich fragte mich, wie sie aussehen würde. Oder vielleicht bekomme ich einen Kerl. Würde er jung und süß sein oder alt und brummig?
Schon am nächsten Tag war meine neue Hilfskraft bereits vor mir in der Schule, und als man uns Kinder in Raum H-5 hineinschob, unterhielt sie sich gerade mit Mrs Shannon. Sie kam sofort zu mir und nahm meine Hand. »Hi, Melody. Ich freue mich, dich kennenzulernen. Ich heiße Catherine. Ich gehe zur Uni und ich werde dir jeden Tag mit Rat und Tat zur Seite stehen.«
Sie sprach mit mir, als wäre ich eine ganz gewöhnliche Schülerin, nicht ein Kind im Rollstuhl. Ich bemühte mich, nicht zu strampeln, aber es fiel mir schwer, meine Aufregung zu unterdrücken.
»Süßes T-Shirt«, sagte sie, als sie Tweety auf dem neuen lavendelfarbenen Top betrachtete, das Mom mir gekauft hatte.
Ich zeigte auf Danke auf meiner Tafel.
»Was ist deine Lieblingsfarbe?«, fragte sie dann.
Ich zeigte auf Lila und ließ meinen Daumen dann schnell zu Grün hinübergleiten. Ich grinste sie an.
»Du bist schlagfertig, Melody. Wie ich sehe, mögen wir beide verrückte Farben. Wir werden uns prima verstehen.«
Catherine trug lila Sportschuhe, grüne Strumpfhosen, einen lila Wildleder-Rock und den hässlichsten grünen Pulli, den ich je gesehen habe. Ich wollte sie mit ihrem Outfit aufziehen, aber ich wollte nicht, dass sie mich gemein fand. Schließlich hatte ich sie gerade erst kennengelernt. Ich suchte meine Tafel nach einer Möglichkeit ab, mich auf witzige Art und Weise über ihre Kleidung lustig zu machen, aber mir fiel nichts ein. Also gab ich auf. Es ist
so
schwierig, etwas zu sagen.
Jetzt hilft mir also Catherine beim Mittagessen, damit ich keine Sauerei mache. Und Catherine liest die Antworten vor, die ich auf meiner Tafel zeige. Sie hat noch mehr Wörter und Sätze darauf angebracht. Und sie hat Mrs
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