Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)
die Mrs V. und meine Mutter auf eine Tafel geklebt haben, die an meinem Rollstuhl angebracht ist, und Rose hat das ganze Internet – und damit wahrscheinlich das ganze Universum – in greifbarer Nähe.
Ich schließe meine Augen, versuche, nicht zu weinen, und träume von dem perfekten, eigens für Melody hergestellten Computer. Vor allem würde er sprechen! Oh ja. Man würde mir den Mund verbieten müssen! Und er würde Platz genug haben, um
all
meine Wörter zu speichern, nicht nur die häufigsten, die auf meiner blöden Plastiktafel kleben.
Er hätte große Tasten, damit meine Daumen die richtigen Knöpfe drücken können, und man könnte ihn an meinem Rollstuhl anbringen. Er müsste nicht lindgrün sein.
Mit einem Ruck öffne ich die Augen. So etwas
muss
es doch geben, stimmt’s? Oder etwas in der Art? Vielleicht? Ich greife nach Catherines Arm und deute auf Roses Computer. Ich auch , schlage ich auf meine Tafel. Ich wiederhole es mehrere Male.
»Du willst so einen Computer wie Rose?« Catherine wirft einen Blick zu Roses Laptop. »Er ist wirklich schön. Nicht mal ich habe einen, der so cool ist wie ihrer.«
Nein , zeige ich.
»Moment, du willst keinen Computer?« Catherine klingt verwirrt.
Ich habe gelernt, Geduld mit meinen Mitmenschen zu haben. Noch einmal deute ich auf Roses Computer und dann auf die Wörter Ich auch . Ich suche meine ganze Kommunikationstafel ab, aber die Wörter
besser
,
schöner
und
cooler
stehen einfach nicht drauf. Also zeige ich auf gut , wechsle dann zur Alphabetleiste und stoße dort die Buchstaben E und R an. Gut-er . Ich klinge wie eine Idiotin.
»Oh!«, sagt Catherine endlich. »Du willst einen besseren Computer als Rose?«
Ja! , haue ich auf die Tafel. Dann deute ich auf für und mich .
»Jetzt versteh ich’s!«, ruft Catherine. »Du willst einen, der speziell für dich gemacht ist! Das ist einfach brillant, Melody!«
Ich buchstabiere A-C-H N-E-E , und wir lachen.
Da beginnt Miss Gordon mit dem Unterricht und erinnert alle an den Abgabetermin für das Biografieprojekt. »Morgen«, verkündet sie, »treffen wir uns in der Mediathek, damit ihr euch endgültig entscheiden könnt, über welche Person ihr schreiben wollt. Und nächste Woche fangen wir an, eine Gliederung für eure Lebensgeschichten zu entwerfen. Noch Fragen?«
Connor, der ewige Klassenclown, meldet sich. »Ich habe herausgefunden, dass der Kerl, der die Toilettenspülung erfunden hat, Thomas Scheißhaus hieß. Kann ich meinen Aufsatz über ihn schreiben?«
Kinder brechen in Gelächter aus. Rodney lacht so heftig, dass sein Gesicht hochrot anläuft.
Miss Gordon bringt Rodney und die anderen zum Schweigen. »Tut mir leid, Connor. Das werde ich jedes Jahr gefragt. Die Toilettenspülung wurde 1596 von John Harington erfunden. Kein lustiger Name. Willst du immer noch Nachforschungen über ihn anstellen?«
Connor sieht aus, als hätte man die Luft aus ihm herausgelassen. »Nee, ich denke, ich halte mich doch lieber an die Leute, die McDonald’s gegründet haben. Wenn ich einen Großteil meiner Zeit damit verbringen muss, Zeug nachzuschauen, dann sind Burger besser als Klos.«
Rodney will wieder losprusten, aber Miss Gordon bringt ihn mit einem Blick zum Schweigen.
»Über wen willst du schreiben?«, fragt Catherine mich, während Miss Gordon durchs Klassenzimmer läuft und mit den Schülern über ihre Projekte spricht.
Ich muss nur kurz nachdenken. S-T-E-P-H-E-N H-A-W-K-I-N-G , buchstabiere ich. Ich will wissen, wie er im Alltag zurechtkommt. Wie er isst und trinkt. Immerhin ist er ein erwachsener Mann. Setzt seine Frau ihn auf die Toilette? Er hat Kinder. Wie schafft er es, ein Vater zu sein?
Und ich will über seine Sprachgeräte Bescheid wissen, die supercoolen Computer, die ihm beim Sprechen und bei wirklich schwierigen Matheaufgaben helfen, wie zum Beispiel schwarze Löcher im Universum zu finden.
Ich haue auf meine Tafel und frage Catherine: Computer für mich?
»Keine Ahnung!«, antwortet sie. »Finden wir’s raus.«
Kapitel 15
Am nächsten Morgen haben wir den ersten Schneefall der Saison. Große, dicke Flocken fallen draußen vor dem Fenster von Raum H-5.
Freddy flitzt hin und berührt die Scheibe. »Schön«, sagt er.
Mrs Shannon rollt uns alle näher heran, sodass wir zuschauen können, wie sich der Schnee auf dem Rasen und den Bäumen anhäuft. Es ist wirklich hübsch. Sogar Jill scheint sich zu entspannen.
»Können wir im Schnee spielen?«, fragt Maria.
»Nein, Maria. Es
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