Mit Yoga Lebensaengste bewaltigen
Muskeln chronisch angespannt sind, ohne dass diese Anspannung nötig wäre.
Im Yoga wird zwischen der oberflächlichen Muskulatur, die wir tagtäglich benutzen, und der tiefer liegenden Muskulatur, die unsere unbewusste Haltung ausdrückt, unterschieden. Im Wort »Haltung« finden wir die Bedeutung des Festhaltens. So lässt sich in einer statischen Pose überprüfen, was und wo wir festhalten wollen. Vielleicht halten wir unbewusst an einer Verspannung fest, die sich jetzt endlich lösen darf. Leichtigkeit und Festigkeit können sich jedoch auch zu einer höheren Einheit verbinden; wenn wir lernen, auf das zu vertrauen, was uns wirklich Halt geben kann, dann fühlen wir uns getragen und gehalten von einer größeren Kraft.
Auch wenn eine bestimmte Yoga-Übung immer Auswirkungen auf das gesamte System unseres Körpers hat, so gibt es doch Übungen und Übungsreihen, die ganz besonders einzelne Organsysteme wie die Gelenke, die Verdauungsorgane oder die Schulter-Nacken-Partie mobilisieren. Indem Yoga zu Bewegungen anregt, die nicht zu den alltäglichen Mustern und Bewegungsabläufen gehören, werden Körperpartien gedehnt, geweitet, geöffnet und damit auch durchblutet, die sonst – ohne diese Anregung – womöglich durch mangelnde Nutzung steif werden und verkalken würden. Während auf der einen Seite gedehnt wird, werden andere, auf der gegenüberliegenden Körperseite sich befindende Partien gepresst und gedrückt. Eine Stauchung kann bewirken, dass nach Lösung dieser Blockade Atem und Blut verstärkt an diese Stelle fließen.
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Beobachtungsübung: Dehnen und Drücken
Denken Sie sich eine beliebige, etwas ungewöhnliche Bewegung aus. Sie können auch die oben bereits beschriebene Seitbeuge ausführen, die besondere Art der Bewegung ist bei dieser Aufgabe jetzt nicht das Wichtige. Erforschen Sie nun einmal, welche Partien Ihres Körpers gedehnt und welche gedrückt werden. Wenn Sie Anfängerin oder Anfänger sind, reicht es, wenn Sie grob dies beschreiben, mit Begriffen wie: rechts, links, vorne, hinten, oben oder unten. Vielleicht gelingt Ihnen aber auch schon eine etwas genauere Beschreibung wie »der Bauch in Höhe des Zwerchfells« oder »die Wirbelsäule am Übergang von der Lendenwirbelsäule zur Brustwirbelsäule wird gedehnt bzw. gepresst«.
Beobachten Sie nun in einem zweiten Schritt, was die Atmung in dem gedehnten Bereich macht und wie es sich mit der Atmungsbewegung im gepressten Bereich verhält. Vielleicht können Sie wahrnehmen, wie der gedehnte Teil Ihres Körpers bei der Einatmung durch den Atem, der dorthin fließt, noch ein kleines bisschen mehr gedehnt wird. Und die Ausatmung entspannt ein klein wenig. Vielleicht nehmen Sie aber auch etwas ganz anderes wahr. Es gibt kein »richtig« oder »falsch«, sondern die Aufgabe ist einfach, ganz sachlich und objektiv etwas festzustellen.
In einem dritten Schritt können Sie nun prüfen, ob diese Beobachtung der inneren Vorgänge etwas an Ihrer seelischen Verfassung verändert hat.
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Atemübungen
Die zuletzt genannte Übung führt von den Bewegungs- zu den Atemübungen. Dem Atem kommt in vielen spirituellen Traditionen eine wichtige Bedeutung zu, da er an der Schnittstelle vom willkürlichen zum unwillkürlichen Nervensystem liegt. Wie auch an anderen Stellen im Yoga begegnen wir hier wieder der Bedeutung einer ausgewogenen Mitte von Tun (sympathisches Nervensystem) und Lassen (parasympathisches Nervensystem). Das indische Wort Prana bezeichnet einerseits den Atem und andererseits die Lebensenergie, die den lebendigen Menschen vom Toten unterscheidet. Je mehr Prana ein Mensch besitzt, desto vitaler sind seine Lebensäußerungen, desto gesünder und widerstandsfähiger ist er. Auch im Hebräischen findet sich eine vergleichbare Doppelbedeutung für das Wort Ruach , das den Atem bezeichnet und gleichzeitig den Lebensgeist meint und das Aktionszentrum, die bewegende Kraft, die hinter dem Atem steht. Wenn in der christlichen Schöpfungsgeschichte Gottvater dem ersten Menschen namens Adam den Atem einhaucht, ist damit gleichzeitig auch Leben und Bewusstsein eingepflanzt.
Wir können den Atem willentlich beeinflussen, wir können also z. B. schneller atmen, den Atem anhalten usw. Aber der Atem fließt in einem für jeden Menschen individuellen Rhythmus – auch dann, wenn wir ihm keine Beachtung schenken (z. B. im Schlaf). Das Atemzentrum befindet sich im Stammhirn, wo unsere für das Überleben notwendigen Instinkte liegen. Unachtsame
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